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Innensenator Andreas Geisel.

© DAVIDS/Sven Darmer

Schießstandaffäre in Berlin: Dokumente, die Geisel im Fall Koppers widersprechen

Trickserei-Vorwürfen im Fall Koppers hat Berlins Innensenator Geisel vehement widersprochen. Doch es gibt Anlass für Zweifel - das belegen mehrere amtliche Dokumente.

Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) könnte bei der Entscheidung, gegen die früheren Polizeivizepräsidentin Margarete Koppers kein Disziplinarverfahren einzuleiten, möglicherweise doch die Gesetzes- und Vorschriftenlage umgangen habe.

Geisel hatte derlei Vorwürfe Ende August zwar energisch zurückgewiesen, sein Sprecher hatte erklärt: "Der Senator trickst nicht." Doch eine geltende Geschäftsanweisung für die gesamte Berliner Polizei, offizielle Auskünfte der Senatsjustizverwaltung und der Staatsanwaltschaft lassen daran zumindest Zweifel aufkommen.

Geisels Kommando: abwarten!

In der Affäre um gesundheitsgefährdende Zustände in den Schießständen der Polizei hat die Staatsanwaltschaft zunächst gegen unbekannt ermittelt und seit April 2017 infolge von Strafanzeigen auch gegen Koppers - wegen des Verdachts auf Körperverletzung im Amt durch Unterlassen.

Im Mai 2017 befasste sich die von Geisel geführte Senatsinnenverwaltung deshalb mit der Frage, ob nun auch, wie bei beschuldigten Beamten nach dem Gesetz vorgesehen, ein Disziplinarverfahren gegen Koppers eingeleitet werden soll. Dies wurde laut einem von Geisel abgezeichneten Vermerk verworfen. Vielmehr sollte das Ergebnis der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft abgewartet werden. 

Der im Vermerk angeführte Grund: Ob "zureichende tatsächliche Anhaltspunkte" für ein Dienstvergehen vorliegen, wie es das Gesetz vorschreibt, könne nicht beurteilt werden, angeblich weil die Staatsanwaltschaft die Akten nicht herausgeben würde. Das hat die Staatsanwaltschaft aber inzwischen dementiert und die Aussage in dem Vermerk als falsch zurückgewiesen.

Die Opposition im Abgeordnetenhaus hegt den Verdacht, dass Geisel mit seinem Vorgehen einen entscheidende Hürde aus dem Weg geräumt hat, damit Koppers im März Generalstaatsanwältin auf Probe werden konnte. Denn in der Regel wird gegen Beamte, gegen die ein Ermittlungsverfahren läuft, automatisch ein Disziplinarverfahren eingeleitet. Das wiederum führt - bis auf Ausnahmefälle - zu einem Beförderungsstopp. 

Opposition wittert "Geschmäckle"

Sollte bei Koppers darauf verzichtet worden sein, um für ein hohes Amt eine "politisch genehme Entscheidung" durchzusetzen, habe das "mehr als ein Gschmäckle", befand die CDU. Ähnlich wird das unter Polizisten gesehen, darunter ranghöhere wie Abschnittsleiter.

Denn tatsächlich sieht eine seit 2007 geltende Geschäftsanweisung "für die gesamte Polizeibehörde" zur Beachtung des Disziplinarrechts beim Aufstieg von Polizeibeamten ein anderes Vorgehen als das der Innenverwaltung vor.

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Demnach liegt bereits ein "disziplinarrechtlich erheblicher Sachverhalt" vor, wenn "Tatsachen, die den Gegenstand eines Straf- oder Ordnungswidrigkeitenverfahrens bilden, bekannt werden" und der "betroffene Beamte als Beschuldigter" geführt wird. Im Klartext: Sobald gegen einen Beamten strafrechtlich ermittelt wird, kommt es zum Disziplinarverfahren. 

So - und damit anders als Geisel - sieht es auch die von Dirk Behrendt (Grüne) geführte Senatsjustizverwaltung. Ein von der Schießstandaffäre betroffener Beamter hatte Ende Januar direkt bei Behrendt um Auskunft zum Stand der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft angefragt.

Justiz widerlegt Geisels Aussagen

In der Antwort der Senatsjustizverwaltung heißt es wörtlich: "Grundsätzlich führt die Anzeige einer innerdienstlichen Straftat gegen einen Beamten immer zur Einleitung eines Disziplinarverfahrens." Das werde dann zwar bis zum Ende des Strafverfahrens ausgesetzt, aber: Durch das unabhängig vom Strafverfahren laufende Disziplinarverfahren werde sichergestellt, dass es auch zu einer beamtenrechtliche Prüfung des Sachverhalts kommt.

Geisels Sprecher hatte dagegen die Einleitung eines Disziplinarverfahrens als Kann-Bestimmung bezeichnet, nach der im Einzelfall nach Lage der Dinge entschieden werden müsse. Ein Disziplinarverfahren sei nicht als "zwingend notwendig" erachtet worden, Koppers habe sich nichts zu Schulden lassen kommen, es sei kein Fehlverhalten erkennbar. 

Damit räumt die Innenverwaltung indirekt ein, der Entscheidung der Staatsanwaltschaft und eines Gerichts vorgegriffen zu haben. Denn vorgesehen ist eigentlich ein anderer Ablauf. Disziplinarverfahren ruhen bis zum Abschluss von Strafverfahrens, damit Vorgesetzte einer richterlichen Entscheidung nicht zuvor kommen.

Zugleich erklärte die Innenverwaltung nun, es wäre Aufgabe des damaligen Polizeipräsidenten Klaus Kandt gewesen, über die Einleitung eines Disziplinarverfahrens gegen Koppers zu entscheiden. Und Kandt habe sich dagegen entscheiden, sagte Geisels Sprecher dem rbb.

Am Dienstag auf Lebenszeit

Tatsächlich soll es nach Tagesspiegel-Informationen dazu gar nicht erst gekommen sein und auch keine Prüfung gegeben haben. Kandt soll die Entscheidung aus der Hand genommen worden sein. 

Das alles legt auch der Vermerk der Innenverwaltung nahe, die ohne Prüfung der Vorwürfe die Einleitung eines Disziplinarverfahrens verworfen hatte. Zudem, so heißt es in der Polizei, hätte Kandt im Fall Koppers nicht ohne Rücksprache der Senatsverwaltung, also nicht allein entscheiden können. 

Am Dienstag soll der Senat auf Vorschlag von Justizressortchef Behrendt entscheiden, Koppers nach der Ende August abgelaufenen Probezeit nun auf Lebenszeit zur Generalstaatsanwältin zu ernennen. Die Übergabe der Ernennungsurkunde ist für Mittwoch geplant. Zuvor befasst sich am Montag der Innenausschuss des Abgeordnetenhauses erneut mit der Schießstandaffäre. 

Rot-Rot-Grün hatte der Opposition bereits eine politisch motivierte Diffamierungskampagne gegen Koppers vorgeworfen. Die Opposition hat von Geisel Aufklärung im Ausschuss zum nicht eingeleiteten Disziplinarverfahren verlangt. Zudem geht es um einen in der vergangenen Woche verstorbenen Schießtrainer der Polizei.

Leichnam beschlahnahmt

Ein Verein, der die Interessen betroffener Beamter vertritt, geht vom zwölften Todesfall aufgrund giftiger Dämpfe in den Schießständen aus. Die Staatsanwaltschaft ließ den Leichnam des am Dienstag verstorbenen Beamten beschlagnahmen. Ein Arzt hatte wegen des möglichen Zusammenhangs mit der Schießstandaffäre eine unbekannte Todesursache vermerkt und dadurch ein Todesermittlungsverfahren ausgelöst. 

Ob giftige Rückstände in den Schießstände zu schweren Erkrankungen von Polizisten - Trainer, häufig übende SEK-Beamte - führten, ist nicht belegt. Wegen des möglichen Zusammenhangs hatte Geisel aber einen Entschädigungsfonds aufgelegt, vorgesehen sind Zahlungen zwischen 2000 und 80000 Euro. 

Bis Anfang Juli hatten 800 Beamte eine Entschädigung beantragt, über die eine Expertenkommission nach Schwere der Krankheit und Einsatzdauer in Schießständen entscheidet. Der nun verstorbene Beamte sollte demnächst 50000 Euro erhalten. 

Strittig ist, welche Verantwortung Koppers für die Affäre trägt.

Geisel sagte dem rbb: "Frau Koppers ist 2010 ins Amt gekommen, hat den Sachverhalt der belasteten Schießstände übernommen und war diejenige, die Schießstände geschlossen hat, um Polizistinnen und Polizisten zu schützen."

Tatsächlich war Koppers nach den internen Unterlagen spätestens seit 2011 mit den Problemen befasst. Ihr wird vorgeworfen, nicht schnell und entschieden genug gehandelt und stattdessen die Lage in den Schießständen geduldet zu haben, bis das ganze Ausmaß 2015 publik geworden ist.

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