Berlin. Die Attacken des Regierenden Bürgermeisters verärgern die Koalitionspartner. Sie vermissen konstruktive Lösungsvorschläge.

Berlins rot-rot-grüne Koalition befindet sich anderthalb Jahre nach dem Start in einem Zustand, in dem jedes Treffen der Führungsriege mit einer besonderen Bedeutung aufgeladen wird. Die Plenarsitzung im Abgeordnetenhaus am Donnerstag war noch nicht sehr alt, da verließen die drei Chefs von der Senatorenbank plötzlich den Saal. Für mehrere Minuten waren die Plätze des Regierenden Bürgermeisters Michael Müller (SPD) und seiner Stellvertreter, Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) und Kultursenator Klaus Lederer (Linke), leer.

Auf der Zuschauertribüne wurde schon gewitzelt, ob das Trio im stillen Kämmerlein nun die Auflösung der rot-rot-grünen Koalition beschließen würde. So kam es dann natürlich nicht. Nach und nach kehrten Müller, Pop und Lederer zurück. Sie konnten mit anhören, wie der FDP-Abgeordnete Paul Fresdorf der Kita-Politik der Koalition eine Abfuhr erteilte.

Dabei sind die Attacken der Opposition derzeit das wirksamste Bindemittel für ein gereiztes Bündnis. Doch ausgerechnet die stärkste Oppositionspartei schwächte sich am Ende der Sitzung selbst. Da gab CDU-Fraktionschef Florian Graf vollkommen überraschend seinen Rücktritt bekannt.

Müller: Linke kümmern sich um „Micky-Maus-Themen“

Doch auch das wird die Stimmung bei Rot-Rot-Grün wohl nur kurz aufhellen können. Denn der Regierende Bürgermeister hatte seine Partner zuletzt hart angegangen. Die Linken würden sich um „Micky-Maus-Themen“ anstatt um die wichtigen Fragen der Stadt kümmern, wetterte Müller am Dienstag im Senat. Vor allem die Sympathien von Linken und Grünen gegenüber Hausbesetzern und der nach seiner Meinung mangelnde Einsatz der Linken-Bausenatorin Katrin Lompscher bringt den Sozialdemokraten so in Rage, dass er die Konflikte auch auf die größere Bühne zieht. Dabei hatte sich Müller doch nach den Erfahrungen aus der vergangenen Legislaturperiode einen anderen Stil vorgenommen. Nachdem die Wähler 2016 die Koalitionspartner CDU und SPD abgestraft hatten, erkannten die Analytiker der SPD die öffentlichen Angriffe Müllers auf die CDU als einen Grund für das schlechte Abschneiden.

Vor dem Hintergrund dieser Erfahrung wundern sich Grüne und Linke, aber auch viele Sozialdemokraten über Müllers aggressiven Stil – lassen den Regierenden aber ins Leere laufen.

Müllers Vorwürfe „irrationale Auseinandersetzung“

Die Führungsgruppe der Linken hat intern die Parole ausgegeben, nicht auf die Attacken einzugehen. Bis 2021, dem Ende der Legislaturperiode, habe man noch viel zu tun. Müllers Vorwürfe seien eine „irrationale Auseinandersetzung, auf die man rational nicht reagieren könne“, hieß es. Es mache keinen Sinn, Müller auf diese Lage anzusprechen. Er mache „völlig zu“.

Linke und Grüne erklären die neue Aufgeregtheit der SPD mit dem Landesparteitag am Wochenende. Müller kämpft um ein gutes Ergebnis bei der Wiederwahl zum Landesvorsitzenden. „Ach wie schön, es wird wieder Parteitag, die Sozis schlagen aus“, twitterte Linken-Fraktionschef Udo Wolf.

Grüne wollen Konflikte nicht zur Grundsatzfrage machen

Führende Grüne bekannten, schon „genervt“ zu sein von Müllers At­tacken. Er „pampe“ die Koalitionspartner an, mache aber keine konstruktiven Vorschläge, was etwa bei der Wohnungsbaupolitik anders laufen müsste. Die Erfolge der Koalition dürften nicht kleingeredet werden. Aber auch die Grünen wollen die aktuellen Konflikte nicht zur Grundsatzfrage machen. Es bestehe keine Veranlassung, den Streit zu einem Thema im Koalitionsausschuss zu machen. „Das klären wir im persönlichen Gespräch“, hieß es am Donnerstag bei den Grünen.

Innerhalb der SPD-Fraktion war man am Donnerstag bemüht, das gute Verhältnis zu den Kollegen von Linken und Grünen zu betonen. Klar, Reibereien gebe es immer. Aber habe die Einigung beim Mobilitätsgesetz nicht bewiesen, dass man arbeitsfähig sei? Beim Wohnungsneubau müsse man gemeinsam daran gehen, Versäumnisse der Vergangenheit aufzuholen.

Grütters: „Berlin wird unter Wert regiert“

Hart ins Gericht mit der Politik von Rot-Rot-Grün ging indes die CDU-Landesvorsitzende und Kulturstaatsministerin Monika Grütters. „Berlin wird unter Wert regiert“, erklärte sie am Donnerstagmorgen in der Indus­trie- und Handelskammer, noch nicht ahnend, dass ihre Partei am Abend Fraktionschef Graf im Abgeordnetenhaus verlieren würde.

„Das Überleben dieses Senats wird sich an der Wohnungsfrage festmachen“, prognostizierte Grütters. Es sei klar, dass Berlin Tausende neue Wohnungen brauche. Das sei eigentlich kein ideologisches Feld, sondern müsse organisiert werden. Das Versagen in der Wohnungspolitik ziehe sich „wie ein dunkelroter Faden“ durch die Senatspolitik. Wenn der Senat das Wohnungsproblem als große soziale Frage unserer Zeit und entscheidendes Thema in Berlin nicht in den Griff bekomme, sei er „kaum noch zu retten“, so Grütters: „Dann ist er vorfristig am Ende.“ Allerdings fordere die CDU keine Neuwahlen, nur weil sich die Koalition „zum hundertsten Mal“ streite.

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