Berlin. Die medizinische Untersuchung soll bei jungen unbegleiteten Asylbewerbern zur Regel werden, fordert die Unionsfraktion.

Die Berliner CDU möchte verhindern, dass sich Flüchtlinge als Jugendliche ausgeben, obwohl sie bereits älter sind. Sie fordert, die medizinische Altersfeststellung bei unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten zum Regelfall zu machen. Bislang ist sie die Ausnahme. Nun soll sich der Senat mittels einer Bundesratsinitiative dafür einsetzen, dass dies geändert wird. Diese Forderung hat die Unionsfraktion am Freitag als Antrag ins Abgeordnetenhaus eingebracht.

Zur Begründung heißt es, eine große Anzahl von unbegleiteten Flüchtlingen gebe vor, minderjährig zu sein. Dies sei „aufgrund zahlreicher Vorkommnisse“ deutlich geworden. Grund hierfür seien eine aufwendigere Betreuung durch den Staat und ein Abschiebeverbot für Minderjährige.

Auch auf Bundesebene wird dieses Thema derzeit intensiv und kontrovers diskutiert. Dazu trug insbesondere die Tragödie mit tödlichem Ausgang bei, die sich kurz nach Weihnachten im rheinland-pfälzischen Kandel ereignet und deutschlandweit für großes Aufsehen gesorgt hatte. Dort hat nach bisherigen Ermittlungen ein 15-Jähriger seine gleichaltrige deutsche Ex-Freundin in einem Drogeriemarkt erstochen. Der Verdächtige ist unbegleiteter minderjähriger Flüchtling. Auch bei ihm wird nun geprüft, ob er tatsächlich 15 Jahre alt ist. An seiner Altersangabe wurden nach der Tat Zweifel laut.

Von Sonntag an wollen CDU, CSU und SPD die Möglichkeiten für eine erneute große Koalition auf Bundesebene ausloten. Zuvor wurden aus der Union weitere Forderungen laut, Altersfeststellungen bei unbegleiteten, mutmaßlich minderjährigen Flüchtlingen verbindlicher zu gestalten. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) sprach sich für einheitliche Vorgaben an die Jugendämter aus, die derzeit selbst entscheiden, ob solch eine medizinische Untersuchung stattfinden soll. SPD-Politiker äußerten sich skeptisch.

Der Antrag der Berliner Christdemokraten beleuchtet vor allem die Situation in der Hauptstadt. Allein in Berlin sei von 2014 bis August 2016 bei 1273 Flüchtlingen die Angabe der Minderjährigkeit durch Untersuchungen widerlegt worden. Die überwiegende Anzahl der untersuchten Flüchtlinge sei allerdings nur durch eine sogenannte Inaugenscheinnahme begutachtet worden, so wie es der entsprechende Paragraf im Sozialgesetzbuch als Regelfall vorsieht. Nur bei Zweifelsfällen habe laut Gesetz das Jugendamt eine ärztliche Untersuchung zu veranlassen. Im Jahr 2015 habe es 4486 Untersuchungen durch Inaugenscheinnahme und nur 39 medizinische Altersfeststellungen gegeben, erklärte die CDU-Fraktion unter Berufung auf Zahlen der Senatsjugendverwaltung. Diese ist zuständig für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, nicht die Sozialverwaltung.

„Es ist davon auszugehen, dass eine hohe Dunkelziffer an Flüchtlingen es schafft, sich als minderjährig auszugeben. Eine genaue Altersfeststellung liegt daher im öffentlichen Interesse“, argumentiert die CDU-Abgeordnete Cornelia Seibeld für eine Bundesratsinitiative. Das sei nur über eine Änderung des Bundesgesetzes möglich. Darüber hinaus sei ein einheitliches Vorgehen aller Bundesländer erforderlich.

Nach Angaben der Senatsjugendverwaltung wurden 2017 knapp 900 unbegleitete minderjährige Geflüchtete neu in Berlin registriert. 2016 waren es 1380, im Jahr davor – auf dem Höhepunkt des Flüchtlingszuzugs nach Deutschland – mehr als 4200. Im vergangenen Jahr sei bei insgesamt 27 Geflüchteten eine medizinische Altersbegutachtung in Auftrag gegeben worden, sagte Verwaltungssprecherin Iris Brennberger der Berliner Morgenpost. In neun Fällen sei die Minderjährigkeit bestätigt worden, in 13 Fällen die Volljährigkeit. In vier Fällen liege noch kein Ergebnis vor, eine Untersuchung sei zurückgezogen worden.

Jugendsenatorin Scheeres ist gegen eine Änderung

Jugendsenatorin Sandra Scheeres (SPD) möchte die bisherigen Regelungen zur Altersbestimmung nicht ändern. Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge werden in Berlin vom Landesjugendamt in Obhut genommen werden, es wird ein Vormund für sie bestellt und sie werden durch die Jugendhilfe betreut. „Wir müssen dafür klären, ob Personen tatsächlich minderjährig sind. Wenn keine Papiere vorliegen, geschieht das über die Inaugenscheinnahme durch Sozialpädagogen und andere Experten“, so Scheeres. Wenn das Ergebnis unklar sei oder der betroffene Flüchtling es nicht akzeptiere, könne auch die medizinische Altersfeststellung durchgeführt werden.

„Ich halte dieses gestufte Verfahren für sinnvoll. Es ist Unsinn, die medizinische Altersdiagnostik bei jedem Geflüchteten durchzuführen“, erklärte die Jugendsenatorin. Wenn bei der Registrierung offenkundig sei, dass es sich um einen Minderjährigen handelt, sei eine Untersuchung unnötig. Dasselbe gelte, wenn das Ergebnis der Inaugenscheinnahme unstrittig sei. Das abgestufte Verfahren sei zudem seit November 2015 geltende Rechtslage in Deutschland. Unter Experten ist umstritten, wie aussagekräftig die medizinische Untersuchung ist. Die Zentrale Ethikkommission der Bundesärztekammer lehnt sie ab, die Deutsche Gesellschaft für Rechtsmedizin wies diese Kritik zurück.

In Berlin leben derzeit 1240 unbegleitete Flüchtlingskinder und -jugendliche bis 18 Jahre, die in Jugendhilfeeinrichtungen wohnen. Hinzu kommen fast 5000 schulpflichtige Kinder und Jugendliche in Flüchtlingsunterkünften.

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