Berlin. Der CDU-Politiker und ehemalige Justizsenator weist den Vorwurf zurück, für den Stellenabbau in der Justiz verantwortlich zu sein.

Berlins früherer Justizsenator Thomas Heilmann (CDU) legt seinem Nachfolger den Rücktritt nahe – allerdings nicht wegen der Ausbruchsserie aus der JVA Plötzensee, sondern weil er versuche, Verantwortung zu Unrecht auf ihn als Vorgänger abzuwälzen.

Herr Heilmann, Ihr Nachfolger Dirk Behrendt sieht sich Rücktrittsforderungen ausgesetzt, nachdem innerhalb weniger Tage mehrmals Häftlinge aus der JVA Plötzensee ausgebrochen sind. Warum sollte er zurücktreten?

Thomas Heilmann: Ob Justizsenator Behrendt wegen der Ausbrüche in Plötzensee zurücktreten muss, darüber kann man streiten. Aber ich finde, ein Justizsenator muss bei der Wahrheit bleiben. Sonst muss er zurücktreten.

Wo sagt er die Unwahrheit?

Er tut so, als wäre ich für den Personalabbau in der Justiz verantwortlich. Bei meinem Amtsantritt hatte ich 2012 ein Haushaltsgesetz vorgefunden, in dem Stellen abgebaut wurden. Zurückgelassen habe ich die Justiz mit dem bislang stärksten Aufwuchs. Es ist schlichtweg falsch, dass unter Herrn Behrendt die Justiz den größten Stellenzuwachs bekommt. Bei ihm sind es 249 Stellen, bei mir waren es allein im letzten Haushalt 300. Er hat allerdings die wesentlich bessere Kassenlage. Es ist nicht üblich, dass ein Justizsenator sich zu seinem Nachfolger äußert. Ich hätte mich sicherlich rausgehalten, wenn er nicht permanent meine Person angreifen und konsequent die Zusammenhänge falsch darstellen würde.

Sie waren von 2012 bis 2016 Justizsenator. In Ihre Amtszeit fiel der spektakuläre Ausbruch von zwei Schwerkriminellen aus der JVA Moabit im Mai 2014. Hatten Sie damals eigentlich einen Rücktritt erwogen?

Mein Rücktritt wurde ja öffentlich gefordert, nicht zuletzt von den Grünen. Für mich war entscheidend: Hätte ich damals etwas anders machen und damit die Wahrscheinlichkeit verringern können, dass es zu dem Ausbruch kommt? Das war nicht der Fall.

War es also richtig, nicht zurückzutreten?

Ja. Ich hatte damals eine Kommission eingesetzt, und es gelang mir, vieles danach zu verändern. Der Ausbruch war ein starkes Argument, das ich genutzt habe für meine Ausbildungsoffensive und den Personalaufbau. Niemand sagt, Behrendt hätte persönlich die Gefangenen aufhalten sollen, als sie mit der Flex aus Plötzensee ausgebrochen sind.

Aber hat Behrendt nicht recht damit, dass die Justiz nicht genügend Ressourcen hat?

Er hat recht, wenn er sagt, dass das Personal nicht ausreicht. Die Berliner Justiz ist seit Rot-Rot chronisch unterfinanziert. Es war aber in meiner Amtszeit schon so: Sie bekommen gar nicht so viele Leute, wie sie brauchen. Man muss weiter intensiv um Mitarbeiter für den Justizvollzug werben, aber auch dringend für die Staatsanwaltschaft und Gerichte.

Der jetzige Justizsenator beklagt, dass im Justizdienst derzeit 200 Stellen unbesetzt sind. Das liege daran, dass unter Ihnen 2012 und 2013 im Justizvollzug nicht ausgebildet wurde. Er beruft sich auf eine schriftliche Antwort Ihres damaligen Staatssekretärs Alexander Straßmeir im Jahr 2014.

Die sagt aber nur, dass mir ein früheres Gesetz die zusätzliche Einstellung von Auszubildenden untersagt hat. Und es ergibt sich aus dieser Antwort, dass 2012 allein 139 Ausbildungen abgeschlossen wurden. 2013 habe ich eine Ausbildungsoffensive gestartet, die sich dann in der Trendwende 2014/15 in Zahlen niederschlug. Sie wurde 2016 und 2017 ausgebaut. Die Grünen haben dem Abbaubeschluss von Rot-Rot im Haushalt 2012/13 übrigens zugestimmt. Nach der Gesetzeslage durfte ich viele Auszubildende nicht übernehmen und habe die Entlassung der Ausgebildeten mit viel Mühe und Zeitverträgen abgewendet.

Dirk Behrendt (Grüne) muss die Ausbruchsserie in der JVA Plötzensee erklären
Dirk Behrendt (Grüne) muss die Ausbruchsserie in der JVA Plötzensee erklären © Reto Klar | Reto Klar

Zurück zur jüngsten Ausbruchsserie. Was ist Ihrer Ansicht nach das Problem?

Das kann ich von außen nicht beurteilen. Fakt ist, dass die Idee des offenen Vollzugs ist, den Gefangenen die Chance zu geben, zu lernen, sich an Regeln zu halten. Das geht nur, wenn sie die Regeln verletzen können, dann aber mit einer harten Sanktion rechen müssen, nämlich mit der Verlegung in den geschlossenen Vollzug. Über die Jahre klappt das ziemlich gut, wenn man davon ausgeht, dass wir mehrere Tausend Gefangene haben und nur wenige Dutzend das mal verletzen, wobei der Großteil freiwillig zurückkommt. Wichtig ist die Einschätzungsfrage: Ist ein Gefangener für den offenen Vollzug geeignet oder nicht? Jetzt aber durch bauliche Maßnahmen aus dem offenen Vollzug wieder doch einen geschlossenen zu machen, wie Behrendt das offenbar aktionistisch plant, das ist widersinnig und nicht glaubwürdig. Ich verstehe die ganze Verteidigungslinie nicht.

Also ist es falsch, den offenen Vollzug in Plötzensee stärker zu sichern?

Es gibt im Justizvollzug in Berlin viele bauliche Bedürfnisse, die wichtiger sind als die im offenen Vollzug. Der geschlossene Vollzug hat weitaus mehr Probleme als der offene Vollzug.

Und was ist mit der Flucht der vier Männer aus dem geschlossenen Vollzug über die Werkstatt?

Dass sie aus der Werkstatt fliehen konnten, ist ein glasklares Organisationsverschulden. Da hätte die Tür nicht offen sein dürfen, es hätte ein anderer Schließzylinder angebracht sein müssen, die Kameras hätten Alarm schlagen müssen. Ich erwarte nicht von einem Justizsenator, dass er sich persönlich um diese Detailfragen kümmert. Seine Krisenbewältigung kritisiere ich aber.

Haben Sie den Eindruck, dass Behrendt genügend die Justiz im Blick hat oder verzettelt er sich als Senator, der für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung zuständig ist?

Öffentlich habe ich ihn nur über Genderthemen wie Unisex-Toiletten wahrgenommen. Was er sonst macht, kann ich nicht beurteilen.

Was vermissen Sie in der Justizpolitik?

Der weitere Personalaufbau hat sich im Vergleich zum letzten Haushalt, den ich zu verantworten hatte, abgeschwächt. Dafür sehe ich gar keinen Grund. Außerdem brauchen wir nicht nur zwei Sicherungssäle in Moabit, wir brauchen auch zusätzliche Flächen. Ich hatte vorgeschlagen, dass wir die bisherigen Lageso-Flächen in der Turmstraße nehmen, weil sie bereits in Landesbesitz sind. Das Raumproblem in Moabit ist eklatant. Ebenso der Personalmangel bei Gericht und Staatsanwaltschaft. Der Justizvollzug braucht nicht nur Personal, sondern auch Umbauten, Neubauten und Mittel wie die Drogenhunde. Das aber verhindert Herr Behrendt. Das schadet unserer Sicherheit.

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