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Eberhard Diepgen, 76, war von 1984 bis 1989 und von 1991 bis 2001 Regierender Bürgermeister. Heute ist er Ehrenvorsitzender der CDU in Berlin.

© Thilo Rückeis

Gastbeitrag für eine Verwaltungsreform in Berlin: Die Bezirke brauchen finanzielle Verantwortung

Bessere Bezahlung, dezentrale Strukturen und neue Staatsverträge mit Brandenburg. Ex-Regierender Bürgermeister Diepgen mit Anmerkungen zu einer Verwaltungsreform.

Die Berliner Verwaltung ist besser als ihr Ruf. Vor allem liegen offenkundige Schwächen weniger an den einzelnen Mitarbeitern als an strukturellen Problemen.

Mit der Wiedervereinigung stand die Verwaltung vor außerordentlichen Aufgaben, die sie weitgehend meisterte. Im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts wurde ihre Leistungs- und Konkurrenzfähigkeit aber nachhaltig beschädigt. In der veröffentlichten Meinung wurde das als Paradigmenwechsel zu „gebotener“ Sparsamkeit kommentiert. Die Mehrzahl der heutigen Herausforderungen der Berliner Politik – vom Zustand von Straßen und Schulen bis zur Altersstruktur in den Verwaltungen und der Überlastung von Staatsanwaltschaften und Gerichten – kann auf Entscheidungen dieser Zeit zurückgeführt werden.

Der Kurswechsel in der letzten Legislaturperiode, mit dem der Weg des „Sparen, bis es quietscht“ verlassen wurde, war leider nur halbherzig. Diese Hinweise erscheinen mir notwendig, weil sie deutlich machen, dass die Hoffnung auf schnelle Ergebnisse einer Berliner Verwaltungsreform fern jeder Realität ist. Nicht nur bei der Polizei brauchen wir vor allem mehr Personal und qualifizierten Nachwuchs. Der liegt nicht auf der Straße. Er muss erst gefunden und ausgebildet werden und die durch das Ausscheiden von „alten Hasen“ aufgerissenen Lücken kann er auch nicht sofort ausfüllen.

Es geht nicht nur um eine Anpassung der Bezahlung

Vor allen Maßnahmen, die den Namen Verwaltungsreform verdienen, müssen zunächst Entscheidungen zur Attraktivität der Berliner Verwaltung für ihre Mitarbeiter – nicht nur bei Lehrern – liegen. Der Bund und selbst das Land Brandenburg sind durch bessere Bezahlung gewichtige Konkurrenten bei der Suche nach leistungsfähigen und karrierebewussten Bewerbern.

Es geht nicht nur um eine allgemeine Anpassung der Bezahlung. Es geht auch um eine angemessene Eingruppierung von Mitarbeitern in den Leitungsebenen. Ein weitgehend bekanntes Beispiel ist die Eingruppierung unserer Berliner Staatssekretäre, weit unterhalb aller Vergleiche. Politisch traute man sich seit Jahrzehnten nicht an das Thema. Kein Wunder, dass auf der Ebene sich immer mehr Parteipolitiker als Minisenatoren tummeln und nicht Fachleute, die gelernt haben, eine Verwaltung „administrativ“ zu führen. Als „Amtschef“ braucht eine Verwaltung aber nicht einen „gelernten“ politischen Strategen sondern einen loyalen – das fordern die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums – und erfahrenen Verwaltungsfachmann.

Stichwort Digitalisierung

Unter dem Stichwort Verwaltungsreform wird es um eine schnelle Bearbeitung und Entscheidung von Verwaltungsvorgängen, um Bürgernähe, moderne technische Ausstattung, hinreichende Abstimmung zwischen den Verwaltungen, Zielvereinbarungen und auch behördenübergreifende Leitfäden für wiederkehrendes Verwaltungshandeln gehen, durch die vermieden werden kann, dass immer wieder zum gleichen Thema das Rad neu erfunden werden muss. Das Stichwort Digitalisierung gehört dazu. Dem Zeitgeist folgend gab es Privatisierungen und damit auch Ausgliederung von Aufgaben aus dem „normalen“ Ablauf von Verwaltung.

Ein Hausmeister (Facility Management) in der Schule erschien überholt. Ich habe Zweifel, ob das alles mit Maß und Mitte betrieben wurde, eine „Evaluierung“ würde nicht schaden.

Strukturelle Fragen der Verwaltung

Weniger mit Verwaltungs- als mit Politikversagen hat es zu tun, dass die Bürokratie ausufert, weil immer neue Gesetze und Regelungen erfunden werden. Es fehlt oft der Blick auf die Frage, wer, wann und wie die neuen Bestimmungen denn ausführen soll. Die Gesetzesfolgenabwägung – eigentlich vorgeschrieben – muss ausgebaut und öffentlich gemacht werden. Die Überprüfung ist auch eine wichtige Aufgabe für den Bund der Steuerzahler und die Medien.

Ich will einige strukturelle Fragen der Verwaltung Berlins ansprechen:

Die IHK beklagt immer wieder das nebeneinander von Haupt- und Bezirksverwaltungen. Ich höre, schon wieder werden Bataillone für einen Angriff auf die ohnehin eingeschränkte bezirkliche „Selbstverwaltung“ gesammelt. Die Position der IHK halte ich für falsch. Eine wachsende Großstadt mit bald vier Millionen Einwohnern kann nicht sachkundig, bürgernah und demokratisch von „einem Schreibtisch“ verwaltet werden. Neue politische Herausforderungen verlangen aber eine „immerneue“ Definition der Schnittstellen zwischen Senats- und Bezirksverantwortung.

Mehr finanzielle Verantwortung für die Bezirke

Die Mobilität in der Stadt fordert mehr zentrale Steuerung und auch unmittelbare Zuständigkeit bei Pflichtaufgaben des Staates. Es war ein Fehler, die Fachaufsicht der Großkommune über die Bezirke einzuschränken. Wohnungsversorgung für Flüchtlinge nach geklärten Aufenthaltsstatus und Unterbringung von Obdachlosen erscheinen mir als Beispiele für notwendige Überprüfung der Verantwortung bezirklicher Verwaltung. Die unterschiedliche Praxis – von Neukölln bis Kreuzberg – bei Rückführung von Obdachlosen in ihre süd-ost-europäischen Heimatstaaten ist ein weiteres aktuelles Beispiel.

Es geht aus meiner Sicht auch um Stärkung bezirklicher Verantwortung. Ich werbe für mehr finanzielle Verantwortung und eigene Einnahmen der Bezirke. Das Interesse an Wirtschaftsansiedlung sollte beispielsweise durch einen Anteil an der Gewerbesteuer gestärkt werden, der dann dem Bezirk für eigene politische Schwerpunkte zur Verfügung steht. Heute zeigt sich, dass die Bezirkspolitik sich primär mit Lärm- und Verkehrsbelastungen bei Gewerbeansiedlungen beschäftigt. Weil es keinen finanziellen Anreiz für den Bezirk gibt, erlahmt das Interesse an neuen Arbeitsplätzen allzu schnell. Und Protest gegen einen Betrieb in der Nachbarschaft gibt es im Regelfall.

Der Konflikt wird gescheut

Wir kennen das Instrument der gesamtstädtischen Aufgabe. Der Senat kann Aufgaben an sich ziehen. Aus meiner Sicht macht er es, beispielsweise bei Wohnungsbauprojekten, zu wenig. Der politische Konflikt wird gescheut. Zu einer Verwaltungsreform gehört die Auflistung von Aufgaben, die der Senat im Zweifelsfalle an sich ziehen muss.

Nur in den größeren Zusammenhang mit einer Verwaltungsreform gehört die Zusammenarbeit zwischen Berlin und den Gemeinden im Ballungsgebiet. Es gibt Staatsverträge mit Brandenburg. Mir scheint eine Aktualisierung insbesondere wegen der Bevölkerungsentwicklung notwendig. Auch der Berliner Flächennutzungsplan ist mehr als zwanzig Jahre alt. Gerade wegen des Bedarfes an Wohnungsbau- und Gewerbeflächen sollte ein neuer Entwurf auf die Tagesordnung.

Unsere neue Serie: Gastbeiträge für eine Verwaltungsreform

DIE IDEE

Es klang wie eine entschlossene Maßnahme: Die Verwaltung Berlins endlich auf Vordermann zu bringen und einen Zustand zu beenden, der mit partiellem Staatsversagen nicht übertrieben beschrieben ist. „Einsatz einer Expertengruppe zur Verbesserung der gesamtstädtischen Verwaltungssteuerung“ nennt sich das organisatorische Instrument, das am 12. September 2017 vom Senat eingesetzt wurde. Die Leitung übernahm Heinrich Alt, von 2002 bis 2015 im Vorstand der Bundesagentur für Arbeit.

DIE EXPERTEN

Der Tagesspiegel hat, in Kooperation mit der Stiftung Zukunft Berlin, Fachleute gefragt: Was braucht Berlin am dringendsten, damit sich die Bürger nicht länger einer oft überforderten und kaputtgesparten Verwaltung hilflos ausgeliefert fühlen? Viele von ihnen haben geantwortet. Wir beginnen unsere Serie heute mit Eberhard Diepgen, CDU-Ehrenvorsitzender, der als Regierender Bürgermeister von 1991 bis 2001 die Stadt lange mitgeprägt hat. (Gerd Appenzeller)

Eberhard Diepgen

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