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Wer darf zuerst? Infektionsrückgang befeuert Öffnungsdebatte

In der Coronakrise wächst der politische Druck auf die Bundesregierung, die Zahl der unzufriedenen Bürger wächst. Erste Politiker warnen vor Schwarzarbeit und fordern Ladenöffnungen – doch Experten sind skeptisch.
In der Pandemie ein Sehnsuchtsort: Friseursalon in Hamburg

In der Pandemie ein Sehnsuchtsort: Friseursalon in Hamburg

Foto: Hanno Bode / imago images

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat es gegen Ende des Shutdowns im vergangenen Frühjahr »Öffnungsdiskussionsorgien« genannt. Ein ähnliches Muster zeigt sich auch im Winter-Shutdown 2021. Kaum ist die Sieben-Tage-Inzidenz unter 100 gefallen, setzt die Debatte über Lockerungen ein: Wer darf zuerst wieder aufmachen – und für wen?

So hat sich Unionsfraktionsvize Carsten Linnemann vor den Bund-Länder-Beratungen für eine Öffnungsstrategie in Form eines Stufenplanes ausgesprochen. »Die Unternehmer wollen und müssen wissen, unter welchen Bedingungen sie wieder öffnen können«, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. In einen solchen Plan gehörten auch kreative Ideen wie die Möglichkeit zur Terminvergabe in Einzelhandelsgeschäften. »Viele Einzelhändler, etwa aus dem Textil- oder Möbelbereich, wären schon froh, wenn sie ihren Kunden individuelle Einkaufstermine anbieten dürften.«

Weichen Friseure aus in die Schwarzarbeit?

Linnemann sagte weiter, er unterstütze auch Forderungen, dass Friseure bald wieder unter strikten Hygieneregeln öffnen dürfen. Sonst drohe ein Boom bei der Schwarzarbeit. Der CDU-Politiker Linnemann ist auch Vorsitzender der Mittelstands- und Wirtschaftsunion der CDU/CSU. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hatte im SPIEGEL gefordert, Friseursalons wieder zu öffnen – mit strengen Hygienekonzepten.

Bund und Länder wollen am 10. Februar über ihr weiteres Vorgehen in der Corona-Pandemie beraten. Bei ihren Beratungen am 19. Januar hatten sie beschlossen, den Lockdown zur Eindämmung der Corona-Pandemie bis Mitte Februar zu verlängern. Restaurants und Bars, Freizeiteinrichtungen sowie viele Geschäfte bleiben zumindest bis zu diesem Zeitpunkt geschlossen. Bund und Länder hatten aber zugleich vereinbart, dass eine Arbeitsgruppe ein Konzept für eine »sichere und gerechte« Öffnungsstrategie erarbeiten soll. Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Thüringen arbeiten bereits an Stufenplänen für mögliche Öffnungsschritte.

Unterdessen werden immer mehr Stimmen laut, die in einem ersten Schritt Kitas und Grundschulen öffnen wollen. Dafür hat sich Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ebenso starkgemacht wie SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach.

Warnung vor zu frühen Lockerungen

Mediziner und Epidemiologen warnen gleichwohl davor, den Bürgern zu viel Hoffnung auf weitreichende Öffnungen noch im Februar zu machen. Insbesondere die Fixierung auf den Inzidenzwert von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner sieht etwa der Saarbrücker Pharmazieprofessor Thorsten Lehr als hochproblematisch an.

Dieser Wert werde seinen Berechnungen nach voraussichtlich bundesweit zwar um den 18. Februar erreicht, sagte der Experte für Corona-Prognosen. Er sei aber noch »viel zu hoch«, um Infektionsketten nachzuverfolgen. Hinzu komme noch die Unwägbarkeit über die Ausbreitung der hochansteckenden Mutanten. »Unsere magische Grenze liegt eher bei 20. Auch wenn das keiner hören will.«

Wenn der aktuelle Lockdown-Zustand beibehalten werde, werde man 20 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner binnen einer Woche nach Analyse des »Covid-Simulators« an der Universität des Saarlandes Mitte März erreichen. Bei 10 wäre man Mitte April.

Bürgerunmut nimmt zu

Unterdessen zeichnet sich allerdings ab, dass der politische Druck auf die Bundesregierung wächst. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov bewerten nur noch 50 Prozent der Befragten das Krisenmanagement der Bundesregierung eher positiv. Im Oktober waren es noch 57 Prozent, während der ersten Corona-Welle im April sogar 67 Prozent. Heute zeigen sich 19 Prozent »sehr unzufrieden« mit der Regierung und weitere 26 Prozent »eher unzufrieden«. 5 Prozent machen keine Angaben.

Am größten ist die Zufriedenheit mit der Regierungsarbeit noch bei den Anhängern der CDU/CSU (70 Prozent), vor den Wählern der Grünen (67), der SPD (57) und der FDP (54). Von den Wählern der Linken bewerten dagegen nur 45 Prozent das Krisenmanagement positiv, bei den AfD-Wählern sind es nur 16 Prozent.

beb/mel/dpa