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Deutschland Wirtschaftsflügel der Union warnt

„Dann brauchen wir uns nicht wundern, wenn wir die Wahl verlieren“

Carsten Linnemann Carsten Linnemann
Carsten Linnemann
Quelle: Martin U. K. Lengemann/WELT
Der Vorsitzende der Mittelstandsunion, Carsten Linnemann, fordert eine „ehrliche Fehleranalyse“ seiner Partei in Sachen Pandemiemanagement. Nach der Krise sieht er ein Zeitfenster für Reformen – und sagt, wie die CDU es nutzen soll.

WELT: Herr Linnemann, das Wahlprogramm der Union lässt weiter auf sich warten. Ab August schon starten die Briefwahlen. Verzettelt sich die Union?

Carsten Linnemann: Nein. Ich bin aber dafür, dass wir jede Woche einen inhaltlichen Pflock einschlagen. Zu glauben, es liefe nach dem einen großen Aufschlag von allein, ist ein Irrglaube. Wir müssen jede Woche Kante zeigen, Profil, um die Debatten bis zur Bundestagswahl zu dominieren.

Denn es ist nicht so, dass die Opposition eine Wahl in Deutschland gewinnt. In der Regel wird eine Regierung abgewählt. Deshalb kommt es auf uns an und nicht auf andere. Es gibt jetzt in der Partei eine große Sehnsucht nach Ideen, nach Visionen.

WELT: Die CSU hat es ebenfalls eilig. Sie hatte lange erklärt, keinen eigenen Bayern-Plan neben dem Unionswahlprogramm vorlegen zu wollen. Nun gilt das plötzlich nicht mehr. Wie finden Sie dieses Misstrauensvotum?

Linnemann: Das ist kein Misstrauensvotum. Es wurde auch bei den letzten Wahlen so gehandhabt. Aber ich wäre dennoch dafür, nicht jetzt ein schnelles Beiboot zu Wasser zu lassen, sondern gemeinsam mit dem einen Boot unterwegs zu sein und den Motor anzuschmeißen. Es braucht dringend Geschlossenheit, und dafür kann ein gemeinsames Wahlprogramm stehen.

WELT: Markus Söder (CSU) erklärt, dass die Wahl allein von Armin Laschet (CDU) abhänge. Hat er recht?

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Linnemann: Auf den Kanzlerkandidaten kommt es besonders an. Deshalb ist es jetzt wichtig, dass er Kante und Profil zeigt. Je mehr wir in den inhaltlichen Debatten in die Vorderhand kommen, desto mehr Geschlossenheit bekommen wir in der Union. Markus Söder spielt dabei eine herausragende Rolle. Denn wie Friedrich Merz und andere, die noch kommen müssen, kann er in einem Team dazu beitragen, dass wir erfolgreich sind.

WELT: Dieses Team, wie stellen Sie sich das vor?

Linnemann: Man sollte von einem Schattenkabinett Abstand nehmen. Ein Schattenkabinett ist von gestern. Ich wäre dafür, dass wir zehn bis 15 Politiker in diesem Team haben, aber auch etwa gleich viele Experten aus Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft hinzuziehen, um uns breit aufzustellen.

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Es geht also nicht darum, künftige Minister zu präsentieren, sondern um ein Kompetenzteam, das konkrete Ziele und wichtige Zukunftsthemen glaubwürdig vertreten kann.

WELT: In der Vergangenheit wurde schon einmal der Versuch unternommen, mit dem Juristen Paul Kirchhof einen Experten zu präsentieren. Damals, 2005, hätte Angela Merkel mit ihm fast die Wahl verloren.

Linnemann: Herr Kirchhof wurde damals als Nichtpolitiker eingebunden, dann aber in die Rolle eines Politikers geschoben. Auch von der CDU. Das war ein Fehler. So war es für Gerhard Schröder (SPD) ein Leichtes, ihn als „Professor aus Heidelberg“ zu diskreditieren und seine Ideen als Blaupause für ein Regierungsprogramm der Union darzustellen. Diesen Fehler dürfen wir nicht wiederholen. Experten sollen ihr Know-how einbringen, aber nicht zu Politikern werden.

WELT: Söder will nicht in ein Kabinett Laschet wechseln. Man hat den Eindruck, dass er seine Niederlage weiterhin in einer Art öffentlichen Therapiesitzungen verarbeitet.

„Allerspätestens ab August darf kein Blatt Papier mehr zwischen Markus Söder und Armin Laschet passen“
„Allerspätestens ab August darf kein Blatt Papier mehr zwischen Markus Söder und Armin Laschet passen“
Quelle: Martin U. K. Lengemann/WELT

Linnemann: Ich habe kein Problem mit abweichenden Meinungen. Der Diskurs der Positionen fand in den letzten Jahren ja viel zu wenig statt. Aber ab August allerspätestens darf dann kein Blatt Papier mehr zwischen Markus Söder und Armin Laschet passen. Solange die CDU auch inhaltliche Debatten führt, ist das okay.

WELT: Auf die Frage, welche Elemente den Kern des Unionsprogramms bilden sollten, sagte uns Friedrich Merz (CDU) unlängst, dass man darüber noch diskutiere. Haben zumindest Sie eine Vorstellung, was diesen Kernbestand ausmachen soll?

Linnemann: Ich habe da eine klare Vorstellung: Erstens braucht es eine ehrliche Fehleranalyse. Das, was bei der Impfstoffbestellung, bei der digitalen Schule, bei der App und der Maskenbestellung falsch gelaufen ist, muss zugegeben werden. Ein solches Bekenntnis verknüpft mit einem Konzept, wie solche Fehler künftig zu vermeiden sind, ist die Basis, um wieder Vertrauen aufzubauen.

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Zweitens müssen wir über Strukturen nachdenken. Ich bin beispielsweise dafür, dass wir die Amtszeit von Kanzlern und Ministerpräsidenten auf zwei Perioden begrenzen.

Drittens müssen wir einzelne Schlagwörter mit Inhalten füllen, die sich deutlich von den anderen Parteien unterscheiden. Bürokratieabbau etwa wollen alle. Aber ich will zum Beispiel 30 Modellregionen ausweisen, in denen etwas ausprobiert werden kann. Was klappt, wird auf Deutschland übertragen, was scheitert, wird nicht weiterverfolgt.

Viertens kämpfe ich für ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr, jeder soll seinen Dienst an der Gemeinschaft erbringen. Fünftens brauchen wir eine Unternehmensteuerreform, der Mittelstandsbauch gehört abgeschafft, und zusätzliche Steuerbelastungen sollten wir ausschließen. Gleichzeitig müssen wir schnell zur schwarzen Null zurück.

WELT: Wirtschaft, Finanzen, Europa, Familie, Außenpolitik – also klassische Unionsthemen, die auch die Parteiführung zuletzt adressiert hat, tauchen in der Rangfolge einer Allensbach-Umfrage bei den Bürgern weit hinten auf. Oben stehen die Themen Klima, Mieten, Rente, Bildung, Migrationspolitik. Was heißt das für den Unionswahlkampf?

Linnemann: Ich warne davor, diese Umfragen zu überschätzen. Wirtschaft, Finanzen und Sicherheit bleiben die zentralen Themen, um die anderen genannten überhaupt bearbeiten zu können. Es gibt schon genug Parteien, die nur noch darüber reden, wie wir in Zukunft leben wollen, aber die Union muss jetzt darüber reden, wovon wir leben können.

Ich meine, nach den Erfahrungen der Corona-Krise ist das Zeitfenster für große Reformen so offen wie letztmalig zu Zeiten von Gerhard Schröder. Wir müssen diese Zeit jetzt nutzen. Wenn wir etwa ein Modernisierungsjahrzehnt versprechen, müssen wir konkret werden.

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Ein Beispiel: Ich kenne einen Fall, in dem Eltern Geld für Luftfilter in einer Schule gesammelt haben. Am Ende verhedderte sich alles im Zuständigkeitswirrwarr. Keiner fühlte sich zuständig, um das Aufstellen der Filter zu genehmigen. Völlig verrückt. Das soll doch der Schulleiter entscheiden können und fertig. Die unteren Ebenen müssen viel mehr Entscheidungsbefugnisse bekommen. Wir müssen an die Hierarchien ran und mehr Mut zur Subsidiarität beweisen.

WELT: Was ist denn die Position der CDU beim Thema Mieten und Wohnen? Wie sollen mehr Menschen bezahlbaren Wohnraum erhalten?

Linnemann: Wir müssen das Angebot erhöhen, nicht die Vermieter oder Hausbauer gängeln. Wir müssen Regulierung zurückfahren und steuerliche Anreize setzen. In den letzten Jahren lief das genau andersherum. Da wurde viel reguliert, es wurden immer neue Anforderungen geschaffen, sodass sich inzwischen kaum noch jemand eine Wohnung oder ein Haus leisten kann.

Gut wäre gewesen, alle, die zum ersten Mal ein Eigenheim erwerben wollen, von der Grunderwerbsteuer zu entlasten. Aber die aktuellen Pläne gehen ja schon wieder in die falsche Richtung.

WELT: Die Abgabe für die CO2-Umlage soll nun auch auf die Vermieter hälftig verteilt werden, nicht nur auf die Mieter. Dieses Vorhaben meinen Sie?

Linnemann: Genau. Ich verstehe nicht, dass die Bundesregierung uns so etwas vorschlägt. Ich werde in der Fraktion werben, dass das so nicht kommt. Man hebelt dadurch das Verursacherprinzip aus. Der Vermieter hat keinen Einfluss darauf, wie viel sein Mieter verbraucht. Der Mieter wiederum hat keinen Einfluss auf die Investitionen seines Vermieters und muss womöglich über die Kaltmiete mehr bezahlen.

Vermieter bekommen dadurch Anreize, in Zukunft eher an einen Single mit Zweitwohnsitz zu vermieten, weil der weniger Energie verbraucht. Eine solche Regelung ist also weder sozial noch gerecht. Wir sollten beim Verursacherprinzip bleiben und dem Vermieter Anreize geben, energetische Sanierungen und Investitionen durchzuführen. Mietendeckel und andere planwirtschaftliche Instrumente müssen für uns Tabu sein.

„Wir brauchen dringend verpflichtende Sprachtests“
„Wir brauchen dringend verpflichtende Sprachtests“
Quelle: Martin U. K. Lengemann/WELT

WELT: Lassen Sie uns auch über die Bildungspolitik sprechen. Die Pandemie hat hier schonungslos Probleme gezeigt. Und dennoch gibt es bisher kaum Reformankündigungen der CDU. Reicht es, sich auf die föderale Aufteilung und die Zuständigkeit der Länder zurückzuziehen?

Linnemann: Nein, das reicht keinesfalls aus. Es geht nicht darum, den Föderalismus abzuschaffen, aber wir brauchen dringend mehr Standards, die dann auch bundesweit Gültigkeit haben. Dann gibt es noch ein Problem nach der Pandemie: In Deutschland leben inzwischen mehrere Hunderttausend Kinder im Kita- und Vorschulalter, die in nicht deutschsprachigen Familien aufwachsen. Die waren in der Pandemie nur zu Hause und hatten kaum Kontakt zur deutschen Sprache.

Das Problem, dass Kinder mit Sprachdefiziten auf unsere Grundschulen gehen, droht sich also nochmals zu verschärfen. Wir brauchen dringend verpflichtende Sprachtests, die bundesweit und nach einheitlichen Standards erhoben werden. Für Kinder, die der deutschen Sprache nicht mächtig genug sind, muss es eine Vorschulpflicht geben.

WELT: Man gewinnt den Eindruck, dass es wenig Bemühungen gibt, für die Zeit nach den Sommerferien einen normalen Schulbetrieb anzustreben. Auch über das schnelle Impfen von Schülern spricht kaum einer. Darf noch einmal ein Schuljahr unter den bisherigen Pandemiebedingungen starten?

Linnemann: Wir müssen uns vorbereiten, und zwar jetzt. Egal, ob eine weitere Virusmutation kommt oder nicht, der Unterricht muss ganz normal in Präsenz stattfinden können. Wenn das nächste Schuljahr genauso startet, wie das alte zu Ende geht, dann brauchen wir uns nicht wundern, wenn wir die Bundestagswahl verlieren.

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