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„Ich kann das nachvollziehen“, sagte Reiner Hoffmann zu dem Umstand, dass viele DGB-Delegierte seinen Einsatz für die erneute große Koalition in Berlin nicht goutierten.

© Wolfgang Kumm/dpa

Schwaches Wahlergebnis: Sympathie für die Große Koalition schwächt den DGB-Chef

Die DGB-Delegierten bestätigen Reiner Hoffmann mit nur 76,3 Prozent der Stimmen im Amt - eine Quittung für dessen Votum für Koalitionsverhandlungen.

Die Nähe zur SPD ist Reiner Hoffmann nicht gut bekommen. Der DGB-Vorsitzende wurde am Montag auf dem Bundeskongress mit bescheidenen 76,3 Prozent wiedergewählt; vor vier Jahren hatten noch gut 93 Prozent der rund 400 Delegierten des Bundeskongresses für Hoffmann votiert. Grund für den Schwund: Das SPD-Mitglied Hoffmann hatte im Januar auf dem Parteitag der Sozialdemokraten vehement für Koalitionsverhandlungen mit der Union geworben. Dabei, so der Vorwurf vor allem linker Gewerkschafter, habe Hoffmann die Rollen des DGB-Vorsitzenden mit der des SPD-Mitglieds vermischt und das Prinzip der Einheitsgewerkschaft, die sich nicht parteipolitisch festlegt, verletzt. Hoffmann ging im Rahmen seiner Grundsatzrede unter dem Motto „Solidarität statt Spaltung“ nicht auf sein SPD-Engagement und die große Koalition ein.

Deutlich bessere Wahlergebnisse als der Vorstandsvorsitzende erreichten die übrigen drei Vorstandsmitglieder. Elke Hannack als Hoffmanns Stellvertreterin bekam 86,5 Prozent. Die 56-jährige Hannack, studierte Theologin und zeitweise Verkäuferin im Einzelhandel, vertritt die CDU im DGB-Vorstand. Angela Merkel selbst war beteiligt, als Hannack 2013 aus dem Verdi- in den DGB-Vorstand wechselte, wo sie unter anderem für Beamte und Frauen zuständig ist. Stefan Körzell, für die IG Metall im DGB-Vorstand, bekam 83,6 Prozent der Delegiertenstimmen. Der forsche 55-Jährige, viele Jahre Vorsitzender des DGB-Bezirks Hessen-Thüringen, kümmert sich um Wirtschafts- und Industriepolitik und sitzt für den DGB in der Mindestlohnkommission. Den Vorstand des Dachverbands komplettiert Annelie Buntenbach (81,2 Prozent), Mitglied der IG BAU und bereits seit 2006 im DGB-Vorstand für Sozial- und Arbeitsmarktpolitik zuständig. Buntenbach, Mitglied der Grünen, löste damals Ursula Engelen-Kefer ab, die DGB-Chef Michael Sommer und die Vorsitzenden der Industriegewerkschaften damals mit Hinweis auf ihr Alter aus dem Vorstand komplimentierten.

Programmatisch stehen die Delegierten hinter dem Vorsitzenden

Engelen-Kefer stand kurz vor ihrem 63. Geburtstag – so wie heute Reiner Hoffmann. Trotz des Alters war die Wiederwahl des aus der IG BCE stammenden Diplom-Ökonomen nicht wirklich umstritten. Bereits im Herbst 2017 hatten sich die Vorsitzenden der acht DGB-Gewerkschaften auf eine weitere Amtsperiode Hoffmanns verständigt. Allerdings gab und gibt es vor allem in der IG Metall Überlegungen zur Zusammensetzung des DGB-Vorstands. Die größte deutsche Gewerkschaft darf den nächsten DGB- Vorsitzenden stellen. Favorit dafür sollte eigentlich Körzell sein, doch da der baden-württembergische IG Metall-Chef Roman Zitzelsberger demnächst in den Vorstand der Metallgewerkschaft rücken soll, um dann in einigen Jahren von Jörg Hofmann den IG Metall-Vorsitz zu übernehmen, könnte ein anderes Vorstandsmitglied nach Berlin „befördert“ werden. Die Namen Christiane Benner, zweite Vorsitzende der Metaller, und des Hauptkassierers Jürgen Kerner werden genannt.

Doch noch führt Reiner Hoffmann den DGB – und will gemeinsam mit den Einzelgewerkschaften „die Arbeit der Zukunft gestalten“. Sein schlechtes Wahlergebnis deutete er als Beleg für die funktionierende Einheitsgewerkschaft: „Ich kann das nachvollziehen“, sagte Hoffmann zu dem Umstand, dass viele Delegierte seinen Einsatz für die erneute große Koalition nicht goutierten. Seine programmatischen Aussagen dagegen sind in der DGB-Familie unumstritten: Mit einer anderen Vermögensverteilung, mehr Mitbestimmung und einem Recht auf Weiterbildung den gesellschaftlichen Zusammenhalt fördern „und die tiefen Umbrüche unserer Zeit in geordnete Bahnen lenken“.

Hoffmanns Herzensthema ist Europa

Als „Experte der Arbeitswelt“ würden die Gewerkschaften im Zeitalter der Digitalisierung entscheiden, „in welche Richtung die Reise geht“. Doch im „digitalen Kapitalismus“ sei auch die Politik aufgerufen, den Arbeitnehmer- ebenso wie den Arbeitgeberbegriff neu zu definieren. „Digitales Tagelöhnertum wollen wir nicht“, sagte Hoffmann und warb für mehr Mitbestimmung.

Das Herzensthema des aus Wuppertal stammenden DGB-Chefs ist Europa. Bevor er als Gewerkschafter in der IG BCE und dann beim DGB Spitzenfunktionen besetzte, arbeitete Hoffmann 16 Jahren für den Europäischen Gewerkschaftsbund in Brüssel. „Die besinnungslose Austeritätspolitik“, die Hoffmann dem langjährigen Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) vorwirft, ist für ihn wesentlicher Grund für Nationalismus und Populismus in süd- und osteuropäischen Ländern. Dazu habe sich die Globalisierung „mit ihrem neoliberalen Kurs selbst in die Sackgasse manövriert“, weil der Wohlstand zunehmend ungleich verteilt sei und die Globalisierungsverlierer aufbegehrten – mit der Wahl rechtsextremer Parteien. Soziale Sicherheit und soziale Gerechtigkeit seien Grundlagen der EU, weshalb Hoffmann ein „soziales Fortschrittsprotokoll“ anregte, „das Arbeitnehmerrechten und dem Sozialschutz Vorrang vor dem Binnenmarkt einräumt“. Diese und andere Forderungen an die Politik kann der DGB-Vorsitzende an diesem Dienstag Angela Merkel präsentieren, wenn die Kanzlerin auf dem Bundeskongress der Gewerkschaften auftritt.

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