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Einigung bei GroKo-Sondierung Kreuzberger Nächte sind lang

Geschafft. Mehr als 24 Stunden am Stück haben Union und SPD sondiert. Ergebnis: Die Parteispitzen wollen eine neue GroKo. Eindrücke aus der Nacht - und ein Ausblick auf die kommenden schwierigen Wochen.

Natürlich sind sie am Ende vor allem erleichtert. Und das hilft den drei Parteivorsitzenden, als sie gegen elf Uhr an diesem Freitagvormittag endlich an die Rednerpulte im Foyer des Willy-Brandt-Hauses in Berlin-Kreuzberg schreiten und die Mühen der Nacht zu überspielen versuchen.

Einer schier unendlichen Nacht, die CDU-Chefin Angela Merkel, der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer und SPD-Chef Martin Schulz  hinter sich haben. Seit Donnerstagmorgen haben sie fast 24 Stunden am Stück sondiert, manche ihrer Mitverhandler sind am Ende mehr als 26 Stunden in der SPD-Zentrale gewesen. Während Merkel, Seehofer und Schulz nun vor den Journalisten sprechen, ist im Foyer des Willy-Brandt-Hauses zu beobachten, wie manchem Sondierer unter den Zuhörern beinahe die Augen zufallen.

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Marathonsitzung von CDU, CSU, SPD: Ab Mitternacht war Sondieren Chefsache

Foto: Kay Nietfeld/ dpa

Aber der finale Marathon hat sich aus Sicht von Union und SPD gelohnt: Die CDU-Chefin nennt das 28-seitige Sondierungsdokument ein "Papier des Gebens und Nehmens, wie es sein muss", der CSU-Vorsitzende zeigt sich darüber "hochzufrieden", Gastgeber Schulz spricht gar von einem "hervorragenden Ergebnis". Am Ziel ist man noch lange nicht - aber wenn es nach den drei Vorsitzenden geht, dann können sie bald einen Koalitionsvertrag aushandeln. Der erste Schritt ist also gemacht.

Und schon der ist hart erkämpft. Manche Mitteilung aus den Gesprächen in der Nacht vermittelt den Eindruck, die Sondierungen könnten scheitern - so wie die Jamaika-Verhandlungen vor einigen Wochen. Dem allerdings widerspricht der SPD-Chef am Freitagvormittag. "Auf der Kippe standen sie nicht", sagt er, Merkel bestätigt das.

"Turbulent" aber war es zwischenzeitlich, so nennt es Schulz. Immer mehr ziehen sich die Gespräche in die Länge. "Um acht soll es schneien", sagt ein Parteisprecher halb im Scherz, als er um viertel vor zwei zu den wartenden Journalisten vor die SPD-Zentrale kommt. Zwei Stunden später verlässt der CSU-Innenpolitiker Stephan Mayer das Willy-Brandt-Haus und ruft beim Einsteigen ins Taxi: "Das dauert noch a bisserl."

Um 5.19 Uhr spaziert CDU-Mann Helge Braun, Vertrauter von Angela Merkel und CDU-Staatsminister im Kanzleramt, aus dem Gebäude: "Es dauert noch." Und: "Ich komme wieder." Um halb sieben steigt CDU-Innenminister Thomas de Maizière in seinen Wagen: "In zwei Stunden bin ich wieder da."

Kompromisse auf beiden Seiten

Dann ist die Nacht vorbei. Die Putzfrauen haben das Gebäude schon wieder verlassen - den fünften und sechsten Stock konnten sie weitestgehend auslassen, da sitzen die Verhandler in verschiedenen Räumen und Konstellationen beisammen. Die Arbeitsgruppen tagen, dann sitzt man wieder im Kreis der 39 offiziellen Sondierer zusammen, zwischendurch sprechen nur die drei Parteichefs miteinander oder im Sechserkreis, ergänzt durch die Vorsitzenden der beiden Fraktionen und der CSU-Landesgruppe. Dazu kommen parteiinterne Runden.

Aus Sicht der Union ist die zentrale Botschaft der erzielten Einigung: Steuererhöhungen soll es nicht geben, zudem will man sich an dem zwischen CDU und CSU vereinbarten rigideren Kurs in der Flüchtlingspolitik orientieren. Die SPD hat dafür ihre bildungspolitische Forderung durchgesetzt, dass wohl das Kooperationsverbot fallen soll, auch wenn es hier noch unterschiedliche Interpretationen gibt. Zudem soll die Parität der Krankenkassenbeiträge von Arbeitnehmern und Arbeitgebern wieder eingeführt werden (lesen Sie hier mehr zu den zentralen Ergebnissen).

Dass man nach fünfeinhalb Tagen übereingekommen ist, es miteinander versuchen zu wollen, ist am Ende keine Überraschung. Die Unionsparteien möchten nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierungen so rasch wie möglich eine stabile Regierung bilden, die SPD-Führung hat schließlich eingesehen, dass an einer GroKo-Neuauflage kaum noch etwas vorbeiführt.

Für Schulz geht die Arbeit jetzt erst los

Zu groß war der Druck geworden, den vor allem Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nach dem Platzen der Jamaika-Gespräche aufbaute - zu abschreckend wirkten die Alternativen: Neuwahlen, bei denen die Sozialdemokraten möglicherweise noch schlechter abschneiden würden. Oder die Tolerierung einer unionsgeführten Minderheitsregierung, bei der es für die SPD kaum etwas zu gewinnen gibt.

Schulz hat wie alle Sondierer anstrengende Tage hinter sich - aber für ihn geht die eigentliche Arbeit jetzt erst los: Zunächst braucht er ein klares Votum seiner Parteigremien für den Einstieg in Koalitionsverhandlungen mit der Union. Schon dabei gibt es Widerstand, unter anderem von Juso-Chef Kevin Kühnert, der eine Neuauflage der Großen Koalition unbedingt verhindern will. Einige "Kernkriterien" für eine Zusammenarbeit, die die SPD beim Parteitag im Dezember beschlossen habe, seien "deutlich gerissen worden", sagt Kühnert am Freitag in einer ersten Reaktion.

Im Video: "Stimmung wie bei einer Klassenfahrt" - die Sondierungsgespräche aus Reportersicht

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Solche Probleme hat die Union nicht: Die Zustimmung der CDU-Gremien für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen gilt als sicher, das gleiche gilt für die CSU. Die Schwesterparteien wollen die Neuauflage der GroKo unbedingt.

SPD-Chef Schulz wird sich dagegen ab Montag auf eine Mini-Deutschland-Tour an die Basis begeben, gegen die alles bisherige ein Spaziergang war: Er muss seine Partei vom Eintritt in Koalitionsverhandlungen überzeugen. Denn ohne die Zustimmung der Delegierten, die am Sonntag in einer Woche in Bonn zum Sonderparteitag zusammenkommen, kann die SPD keine Koalitionsgespräche mit der Union aufnehmen.

Schulz kämpft dabei nicht nur um die GroKo, sondern auch um seine persönliche Zukunft: Sollte der Parteitag gegen Koalitionsverhandlungen votieren, würde der Vorsitzende wohl sein Amt zur Verfügung stellen, mit ihm müsste eigentlich die komplette Führung der SPD abtreten. Allerdings würde es dann wohl auch für Merkel und Seehofer eng: Beide brauchen unbedingt die Koalition, um ohne massiven Autoritätsverlust an der Spitze ihrer Parteien weitermachen zu können.

Am Ende kämpft Schulz deshalb nicht nur für sich in der kommenden Woche - sondern auch für die CDU-Chefin und den CSU-Vorsitzenden. Seehofer wünscht Schulz am Freitag denn auch nicht ohne Grund viel Glück für die kommende Woche.

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