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Der Berliner SPD-Fraktionschef Raed Saleh wird ab jetzt um sein politisches Überleben kämpfen müssen.

© picture alliance / dpa

Berliner SPD: Was bleibt von Raed Saleh?

In einem Brandbrief hatten Berliner SPD-Abgeordnete ihren Fraktionschef hart kritisiert. Raed Saleh wird sich ändern und Macht abgeben müssen. Einige Genossen bezweifeln aber, dass er das kann.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Raed Saleh muss sich ändern. Oder er wird verändert. Das System der einsamen Entscheidungen und Beschaffung von Mehrheiten im eigenen Interesse, das der SPD-Fraktionschef bis zur Perfektion entwickelt hat, wird in Zukunft nicht mehr funktionieren. Eine Mehrheit der 38 Genossen, die im Abgeordnetenhaus sitzen, haben ihm in einer denkwürdigen Fraktionssitzung am Dienstag ein großes Stoppschild aufgestellt.

Anlass war der Brandbrief von 14 SPD-Abgeordneten, in dem der Politik- und Arbeitsstil, aber auch die eigenwillige Gesprächskultur Salehs massiv kritisiert worden ist. Auch der Regierende Bürgermeister und SPD-Landeschef Michael Müller machte in einem ausführlichen Redebeitrag in der sechsstündig Fraktionssitzung deutlich, dass alle vier Senatsmitglieder mit einem Parlamentsmandat den Kritikern zuzurechnen sind – auch wenn sie den Brief nicht mit verfasst haben.

Weitere Fraktionsmitglieder, die aus verschiedenen Gründen nicht unterschrieben, signalisierten ebenfalls, dass der SPD-Fraktionsvorsitzende so nicht weitermachen kann.

Das "System Saleh/Schneider" hat ausgedient

Das bedeutet: Saleh hat derzeit in der SPD-Fraktion keine Mehrheit mehr. Er selbst gestand in der harten, mit offenem Visier geführten Debatte zwar eigene Fehler ein. Doch wirkte das, so berichten Teilnehmer, eher halbherzig und wenig konkret. „Es ist unklar, ob die Botschaft tatsächlich bei ihm angekommen ist“, sagt ein Genosse. Saleh habe einen sehr eigenwilligen Charakter, so jemand ändere sich nicht über Nacht.

Zumal noch ein zweiter Mann im Spiel ist, der sich ungern ins Handwerk pfuschen lässt. Eine Abgeordnete sprach vom „System Saleh/Schneider“, das verstanden alle sofort.

Der Fraktionsgeschäftsführer Torsten Schneider ist seit Jahren engster Vertrauter und Berater Salehs, ein erfahrener Jurist, hoch intelligent und mit allen politischen Wassern gewaschen. Manchmal fröhlich und umgänglich, oft aber selbstherrlich und arrogant. Beide führten die Fraktion bisher quasi im Alleingang – aber damit ist es nun vorbei.

Die Genossen wollen endlich einen Umgang auf Augenhöhe, fair und transparent. Und politisch effektiv. Immerhin handelt es sich um die größte Regierungsfraktion im Abgeordnetenhaus, die fachlich kompetent und arbeitsfähig sein sollte.

Aber wie es in Zukunft besser werden könnte, bleibt trotz der gründlichen Aussprache nebulös. In den nächsten Tagen soll ein „Prozess“ gestartet werden, um „Verhaltensweisen und Strukturen“ in der Fraktion zu ändern. Ob der Fraktionsvorstand diese Reformen steuern wird, vielleicht auch eine Arbeitsgruppe oder ein externer Mediator, ist völlig offen. Ziel ist es, bis zur turnusmäßigen Jahresklausur im Januar erste Ergebnisse vorzuweisen. Zum ersten Mal seit sechs Jahren, solange ist Saleh Fraktionschef der Sozialdemokraten, wird er nicht mehr die Agenda der wichtigen Fraktionsklausur maßgeblich bestimmen.

„Wir müssen uns zusammenraufen, im gegenseitigen Respekt“

Allerdings wollen sich viele SPD-Abgeordnete nicht dazu missbrauchen lassen, im Zuge der geplanten Erneuerung den Machtkonflikt zwischen Saleh und dem SPD-Landeschef Müller weiter anzuheizen. „Wir müssen uns zusammenraufen, im gegenseitigen Respekt“, hieß es am Mittwoch.

Die engagierten Fachpolitiker in der Fraktion wollen jenseits der parteiinternen Kämpfe einfach nur einen guten Job machen. Ob dies angesichts des Zustands der SPD und ihrer Parlamentsfraktion zu naiv gedacht ist, wird man sehen.

Ob sich der machtbewusste Fraktionschef, der lange Zeit das Amt des Regierenden Bürgermeisters und des SPD-Landesvorsitzenden im Visier hatte, in den „Veränderungsprozess“ einbinden lässt, ist ebenfalls fraglich. Sein Ausnahmetalent als Kommunikator und Menschenfänger wird auch von seinen Gegnern anerkannt und er weiß, dass er in der eigenen Fraktion bisher keine ernsthaften Konkurrenten hat.

Deshalb wird jetzt über eine – bei Grünen und Linken seit Jahren bewährte – „Doppelspitze“ diskutiert. Als ein Modell für die Führung der SPD-Fraktion, mit dem die Macht Salehs wirksam eingedämmt werden könnte. Dafür müsste die Fraktionssatzung geändert werden, aber das lässt sich machen.

Sehnsucht nach Ruhe, Orientierung und Ordnung.

Wenn es so kommt, wird eine Frau an die Seite Salehs rücken. Ohnehin fühlen sich die Berliner Genossinnen in den Spitzenpositionen der SPD-Gremien völlig unterrepräsentiert. Vorstandswahlen stehen in der Fraktion eigentlich erst Ende 2018 an. Ob sie vorgezogen werden, hängt wohl maßgeblich vom weiteren Verhalten des umstrittenen Fraktionschefs ab. Saleh wird ab jetzt um sein politisches Überleben kämpfen müssen.

Bisher ist ihm das stets gelungen, aber die Krisensitzung am Dienstag war eine Zäsur. Auch seine Pläne, in den bevorstehenden Parteiwahlen die Mehrheiten in Kreis- und Ortsverbänden zu seinen Gunsten zu verändern, um doch noch Zugriff auf den SPD-Landesvorsitz zu bekommen, wird Saleh wohl ad acta legen müssen. Die Berliner SPD, die vom Institut Civey derzeit bei 17 Prozent gesehen wird, sehnt sich mehrheitlich nach Ruhe, Orientierung und Ordnung.

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