Umweltsenatorin Günther (parteilos) plant mehr Tempo 30-Zonen und fordert Fahrverbote für Diesel-Autos. Die Wirtschaft ist skeptisch.

In den Jamaika-Sondierungen ist es eines vieler Reizthemen von Union, FDP und Grünen: Gibt es eine Blaue Plakette und damit womöglich Fahrverbote für Diesel-Autos? Für die Grünen ist die Sache klar: Wenn sie schon auf ihre Forderung eines Enddatums für Verbrennungsmotoren verzichten müssen, wollen sie wenigstens die Plakette. Schwer wird das allemal.

Rückendeckung bekommt die Bundespartei aus Berlin. Am Mittwoch betonte Verkehrssenatorin Regine Günther (parteilos, für Grüne) bei einer Veranstaltung der Berliner Industrie- und Handelskammer (IHK), dass die Autoindustrie endlich die Hardware von Diesel mit besonders hohem Stickstoffdioxid-Ausstoß (NO2) nachrüsten müsse. Andernfalls würden gerichtlich angeordnete Fahrverbote drohen. Da die Autoindustrie sich bislang aber weigert, führt laut Günther kein Weg an der Plakette vorbei – beziehungsweise an Fahrverboten.

Umweltsenatorin Regine Günther (parteilos, für Grüne)
Umweltsenatorin Regine Günther (parteilos, für Grüne) © picture alliance / Jörg Carstens | dpa Picture-Alliance / Jörg Carstensen

Weil Berlin dabei auf die Bundesregierung angewiesen ist, greift der Senat zu anderen Mitteln: Auf fünf viel befahrenen Abschnitten von Hauptstraßen wird getestet, ob die Einführung von Tempo 30 den Verkehrsfluss sowie und den Stickstoffdioxid-Ausstoß reduziert. An anderen Straßen war dies bereits erfolgreich, der Verkehr wurde flüssiger, die Luftverschmutzung geringer. Günther prognostizierte, dass es in Berlin bald viele Tempo-30-Zonen zu bestimmten Uhrzeiten geben könnte.

Und die Fahrverbote? Hier schaut Berlin nach Leipzig. Im Februar wird das Bundesverwaltungsgericht ein Urteil fällen. Die Deutsche Umwelthilfe hat mehrere Städte wegen ihrer Luftqualität verklagt, darunter auch Düsseldorf. Das dortige Verwaltungsgericht entschied, dass die Stadt die Emissionen senken muss, wenn nötig auch mit Fahrverboten. Die Angelegenheit befindet sich jetzt bei der letzten Instanz in Leipzig.

Die Entscheidung wird sich bis in die Hauptstadt auswirken. Auch in Berlin liegt eine Klage der Umwelthilfe beim Verwaltungsgericht. Grund: Der Grenzwert für das überwiegend von Dieseln produzierte schädliche NO2 wird regelmäßig überschritten. Das Verwaltungsgericht will noch die Entscheidung aus Leipzig zu Düsseldorf abwarten, bevor es die Verhandlungen beginnt. Experten gehen aber jetzt schon davon aus, dass das Urteil ausfällt wie in Düsseldorf beziehungsweise München und Stuttgart: Weg frei für Fahrverbote.

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    Nicht nur die privaten Fahrzeughalter, vor allem die Berliner Wirtschaft macht das zunehmend nervös. Von den rund 110.000 gewerblichen Dieselfahrzeugen kann nur rund jedes fünfte die Euro-6-Abgasnorm aufweisen und wäre von Fahrverboten, durchgesetzt etwa durch eine Blaue Plakette, voraussichtlich nicht betroffen.

    Fahrverbote laut IHK nicht notwendig

    Bei der IHK hat man deshalb seine Mitglieder befragt: Rund die Hälfte der Gewerbetreibenden befürchtet bei Fahrverboten, ihre Geschäftstätigkeit einschränken oder sogar aufgeben zu müssen. Oder tief in die Tasche greifen zu müssen: Bei einer verschärften Umweltzone würden laut IHK insgesamt 240 Millionen Euro für die Erneuerung der Fahrzeuge anfallen – die IHK findet das „unverhältnismäßig“. Dennoch kommt der Branchenvertreter zu dem Schluss, dass Fahrverbote nicht sein müssen.

    Gestützt wird diese Annahme durch ein eigens in Auftrag gegebenes Gutachten. Es prognostiziert die NO2-Emissionen an einem halben Dutzend Messstellen an Berliner Hauptstraßen bis 2025. Fazit: Die Messwerte werden wegen des Technologiewandels sinken, da alte und schmutzige Diesel sowieso nach und nach wegfallen. Dazu werden die Softwareupdates – wenn auch einen geringen – Effekt haben. Und außerdem liegen die Werte an den Messstationen schon jetzt nur geringfügig über dem erlaubten NO2-Grenzwert.

    Damit es keine Fahrverbote gibt, sei aber mehr nötig. „Wir brauchen eine Balance zwischen sauberer Luft, fließendem Wirtschaftsverkehr und moderner Mobilität“, sagte IHK-Hauptgeschäftsführer Jan Eder. Die Forderung: mehr Radwege, mehr Investitionen in den öffentlichen Nahverkehr, mehr Förderung für Elektromobilität. So müsse zum Beispiel der öffentliche Fuhrpark, etwa bei den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG), umgerüstet werden, am besten auf E-Busse. Generell sollten Maßnahmen für bessere Luft nicht flächendeckend, sondern „passgenau“ an kritischen Abschnitten erfolgen. In einem Punkt sind Wirtschaft und Politik auf einer Linie: Mehr Autobesitzer müssen auf ihr Fahrzeug verzichten, damit mehr Platz für andere Verkehrsmittel ist, auch für den Wirtschaftsverkehr.

    Dafür braucht es Anreize: mehr Radwege, mehr Busse und Bahnen. Aber viele Maßnahmen bräuchten Zeit und seien nicht so leicht umzusetzen, betonte Senatorin Günther. Das gelte speziell auch für die beim Klimaschutz so wichtige Elektromobilität. Beispiel E-Busse: Die BVG testet schon länger diverse Modelle, die aber immer wieder mit technischen Problemen kämpfen. Nächstes Jahr will man nun 30 Modelle anschaffen, aber problematisch ist laut Günther auch, dass man dabei mangels Innovationen nicht auf die deutsche Industrie setzen könne. „Deutschland liegt hier hinten.“

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