Erst tobte tagelang eine Personaldebatte in der SPD, dann verzichtete Martin Schulz auf den Posten des Außenministers. Nach den jüngsten Querelen der Sozialdemokraten macht Doris Harst, die Schwester des scheidenden SPD-Vorsitzenden, der Parteispitze schwere Vorwürfe.
„Andrea Nahles, Olaf Scholz und andere machen ihn zum Sündenbock für alles“, sagte Harst WELT AM SONNTAG. „Dabei könnten sie Martin dankbar sein, nicht nur, weil er in ihrem Sinne Sigmar Gabriel abserviert hat.“
Die SPD habe sich im Umgang mit ihrem Bruder als eine „echte Schlangengrube“ erwiesen. Jetzt sagten „Politiker mit Führungsverantwortung: ,Martin ist an allem schuld‘“, kritisierte die Sozialdemokratin.
„Mir wird übel, wenn ich höre, wie Herr Stegner sich äußert und wenn Juso-Chef Kühnert sagt, ,nachdem die Personalie Schulz vom Tisch ist ...‘“, sagte Harst weiter. Damit werde deutlich, dass ihr Bruder „nur belogen und betrogen“ worden sei. Ihr Bruder habe die Schlangengrube in Berlin völlig unterschätzt. Nach seiner Zeit als Spitzenpolitiker in Brüssel und Straßburg sei das nichts für ihn.
Doris Harst gehört seit Jahrzehnten der SPD an, wohnt wie ihr Bruder in Würselen und ist dort kommunalpolitisch engagiert, unter anderem als Mitglied des Stadtrats.
Die italienische Zeitung „La Repubblica“ teilt die Meinung von Harst. Zum Absturz von Schulz schreibt sie: „Martin Schulz war nur für 36 Stunden Außenminister. … Er ist der Ziggy Stardust der deutschen Politik.“ Als Alien sei er vor einem Jahr von Brüssel nach Berlin katapultiert und wie ein Gott einer führungslosen Partei gefeiert worden. Dann sei er in tausend Stücke gerissen worden.
„Er ist in diesen Monaten der perfekte Sündenbock einer Partei geworden, die seit zehn Jahren in einer Identitätskrise steckt und die zu vergessen versucht, dass sie ihn vor einem Jahr gerufen hat“, findet das Blatt.
Der scheidende SPD-Chef Schulz hatte am Mittwoch zunächst angekündigt, in einer neuen großen Koalition das Außenministerium übernehmen zu wollen. Dies sorgte für parteiinterne Kritik. Auch Amtsinhaber Gabriel hatte Schulz kritisiert. Am Freitag kündigte Schulz dann an, auf das Außenministerium zu verzichten. Er erklärte, durch die Diskussion über seine Person den Erfolg des SPD-Mitgliedervotums über den Koalitionsvertrag gefährdet zu sehen.