Islam und Terror : Die Muslime müssen selbst Lösungen finden
- -Aktualisiert am
Freitagsgebet in der Sehitlik-Moschee in Berlin Bild: dpa
Die friedliche Mehrheit der Muslime muss die Deutungshoheit über ihre Religion zurückerlangen. Wir dürfen uns nicht länger hinter der Phrase verstecken, Gewalt und Terror hätten nichts mit dem Islam zu tun. Ein Gastbeitrag.
Vorweg: Ich bin Muslimin – ein Bekenntnis, das in diesen Tagen nicht einfach ist. Werden doch die schlimmsten Greueltaten auf das Konto meiner Religion verbucht. Das macht mich nicht nur betroffen, es betrifft mich auch ganz konkret. Muss ich doch als Muslimin oft das „Warum“ erklären: warum der Islam zur Gewalt neigt und diese legitimiert, warum sich die meisten Terroristen auf den Islam beziehen. Fragen, die weder von der Hand zu weisen sind noch einfach zu beantworten. Soziokulturelle Perspektiven oder machtpolitische Ansprüche sind Erklärungsmuster, die nicht immer überzeugen.
Oft sind theologische Erklärungen gefragt, mit denen ich als einfache Muslimin nicht dienen kann. Gläubig zu sein macht mich nicht zur Expertin. Auch mag der Koran die Basis meiner Religion sein, aber weder richte ich mein Leben nach ihm aus, noch kenne ich ihn auswendig. Der Prophet selbst hat Gottes Wort nicht wörtlich verstanden, 14 Jahrhunderte später werde auch ich das nicht tun. Und trotzdem bin ich Muslimin – aber ich bin auch mehr: Ich bin eine Frau, Demokratin, Bürgerin. Ich bin vieles, und bei alldem denke ich nicht permanent an meinen Glauben. Er gibt mir oft Halt, ist aber nicht die Grundlage all meiner Entscheidungen. Ich entscheide mich auch oft für ein Glas Wein und bin trotzdem Muslimin!
Keine Rechtfertigung für Mord und Terror
Das mag einige verstören, einige werden das als Widerspruch empfinden. Sollen sie! Der Richter meiner Religion ist Gott allein, und ich habe schon vor längerer Zeit die Entscheidung getroffen, mir weder von eindimensionalen Menschen, geschweige denn von blutdurstigen Terroristen oder gescheiterten Existenzen meine Religionszugehörigkeit nehmen zu lassen. Auch als Muslimin verurteile ich ihre Taten auf das schärfste, und mich interessiert dabei nicht im Geringsten, was alles in ihrem Leben schiefgelaufen ist.
Keine Biographie kann Mord und Terror rechtfertigen. Ich glaube nicht daran, dass es Gott oder dem Propheten gefällt, wenn unschuldige Menschen getötet werden. Ist dies doch auch nach islamischem Verständnis eine äußerst schwere Sünde. Ich glaube an die Lehre des Propheten, Gebrauch von meinem Verstand zu machen. Sich Opfer- oder Minderwertigkeitskomplexen zu bedienen, die die Schuld für das eigene Versagen oder einen Schicksalsschlag auf andere projizieren, ist für mich alles andere als islamisch.
Islam braucht einen Imagewechsel
Viele Muslime in unserem Land denken ähnlich. Die Bilder, die sie sehen, machen sie ebenso betroffen. Aber Betroffenheit darf uns nicht zum Schweigen und ebenso wenig zum Abstreiten bringen. Der Satz „Gewalt und Terror haben nichts mit dem Islam zu tun“ ist mehr denn je fehl am Platz. Er ist fehl am Platz, weil diese Gewalt und dieser Terror im Namen des Islams verübt werden. Oder wie es Navid Kermani neulich sagte: „In dem Augenblick, da sich Terroristen auf den Islam berufen, hat der Terror auch etwas mit dem Islam zu tun.“ Dieser Satz schmerzt die meisten Muslime, und dieser Schmerz ist berechtigt. Aber wir müssen aufstehen vom Krankenbett, aufhören mit Phrasen und uns ernsthaft mit diesen Fragen auseinandersetzen. Nicht nur theologisch, sondern allem voran gesellschaftlich.
Der Islam braucht einen Imagewechsel. Hierfür ist keine Werbeagentur, hier sind die führenden Muslime gefragt, die nicht mit internem Zwist, sondern vor und hinter den Kulissen mit einer gemeinsamen Botschaft auffallen müssen. Nicht die Politik, sondern sie selbst müssen Lösungen finden. Der Wulff-Satz „Der Islam gehört mittlerweile auch zu Deutschland“, den unsere Bundeskanzlerin jüngst wiederholte, hat viele Muslime in unserem Land erfreut. Ja, der Satz ist richtig und steht nicht konträr zu der Aussage „Deutschland ist christlich-jüdisch geprägt“. Warum auch? Dass der Islam mittlerweile auch zu Deutschland gehört, spricht nicht gegen eine Tradition. Es erweitert sie nur um die heutige Realität. Aber man muss auch den Kritikern etwas entgegenstellen.
Das Argument, dass die meisten der vier Millionen Muslime in unserem Land friedlich sind, mag faktisch richtig sein. Aber die Debatte wird längst nicht mehr faktisch, sie wird emotional geführt. Deshalb reicht dieses Argument nicht mehr. Die betroffenen Muslime müssen sich gemeinsam der Verantwortung stellen und die Deutungshoheit über ihre Religion wiedererlangen. Niemand kann ihnen diese Verantwortung abnehmen. Sie müssen lauter werden als die lauten Extremisten. Sie müssen die Jugendlichen unserer Gesellschaft schützen und aufklären – nicht für die anderen, sondern für ihre Religion. Sie müssen sich der Auseinandersetzung stellen, weitergehen und sich intensiver der Frage zuwenden, ob sie nicht endlich reif für das Modell eines europäischen Islams sind.