Wachstumsstärkungspaket: „Die Kräfte der Sozialen Marktwirtschaft neu entfesseln“

Datum des Artikels 19.08.2020
MittelstandsMagazin

Das Corona-Virus hat die deutsche Wirtschaft an die Kette gelegt. Die Einschätzungen darüber, wann sich die Konjunktur wieder vollständig erholen wird, gehen weit auseinander. Klar ist: Um schnell wieder auf den Wachstumspfad zu kommen, sollte die Politik die Unternehmen von Fesseln befreien und auf die Kräfte von Markt und Wettbewerb vertrauen.

Die deutsche Wirtschaft ist im zweiten Quartal so schnell und stark eingebrochen wie noch nie. Das Bruttoinlandsprodukt fiel von April bis Juni um 10,1 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Sieben Jahre ökonomischen Wachstums wurden so in nur drei Monaten ausradiert. Laut Statistischem Bundesamt handelt es sich um den stärksten Rückgang seit Beginn der vierteljährlichen BIP-Berechnungen im Jahr 1970.

Zuvor hatten bereits die Wirtschaftsweisen ihre Konjunkturprognose für 2020 noch einmal deutlich nach unten geschraubt: Sie rechnen inzwischen mit einem Minus von 6,5 Prozent. Im März war der Sachverständigenrat noch von einem Einbruch des Bruttoinlandsproduktes (BIP) – „im schlimmsten Fall“ – um 5,4 Prozent ausgegangen.

„Die Corona-Pandemie wird voraussichtlich den stärksten Einbruch der deutschen Wirtschaft seit Bestehen der Bundesrepublik verursachen“, sagt Lars Feld, Vorsitzender des Sachverständigenrates. Zwar dürfte die Wirtschaft 2021 bereits wieder wachsen. Doch Feld warnt: „Eine Rückkehr auf das Niveau des BIP vor der Pandemie ist nicht vor dem Jahr 2022 zu erwarten.“ Auch das Münchener Ifo-Institut rechnet eher mit zwei verlorenen Jahren: „Das bedeutet, dass Deutschland wie andere Länder auch einen permanenten Wohlstandsverlust erleidet“, sagt Ifo-Chef Clemens Fuest.

Eine düstere Prognose gibt der Freiburger Ökonom Bernd Raffelhüschen ab: „Der jetzige Zusammenbruch aller globalisierten Wertschöpfungsketten führt dazu, dass wir optimistisch betratet erst in einigen Jahren, vielleicht sogar erst in zehn Jahren, wieder den Wachstumspfad erreichen werden, auf dem wir zuvor waren“, sagt er im Interview mit dem Mittelstandsmagazin. Grund sei eine nachhaltige Verhaltensveränderung der Bevölkerung.

Wachstumsstärkungspaket

Was Feld, Fuest und Raffelhüschen eint: Sie alle mahnen langfristige, strukturelle Reformen an. Darauf setzt auch ein umfassendes Wachstumsstärkungspaket, das der MIT-Bundesvorstand Ende Juli verabschiedet hat. „Unser primäres wirtschaftspolitisches Ziel muss es sein, wieder Vertrauen in die Märkte zu schaffen und neues Wachstum zu generieren“, sagt Matthias Heider, stellvertretender MIT-Bundesvorsitzender und Vorsitzender der federführenden Wirtschaftskommission. „Dazu müssen wir Strukturreformen für mehr Wettbewerbsfähigkeit auf den Weg bringen und vor allem die bürokratischen Belastungen abbauen, mit denen sich gerade unsere mittelständischen Unternehmen herumschleppen.“ Dorin Müthel-Brenncke, ebenfalls MIT-Vize und Co-Vorsitzende der Wirtschaftskommission, betont: „Im Fokus sollen die Unternehmen stehen, die vor der Krise erfolgreich waren und nur wegen der Pandemie ausgebremst wurden.“

Steuerlast senken

Das Wachstumsstärkungspaket setzt auf die Felder Steuern, Finanzierung, Investitionen, Förderungen, Ausschreibungen und Bürokratie. Die im internationalen Vergleich hohen Unternehmenssteuern sollen gesenkt werden. Gewinne, die im Unternehmen verbleiben, sollen deutlich niedriger besteuert werden. Einzelunternehmern und Personengesellschaften will die MIT die Möglichkeit geben, wie eine Kapitalgesellschaft besteuert zu werden – und umgekehrt auch. Bürger sollen über die Einkommensteuer und die vollständige Abschaffung des Solidaritätszuschlags entlastet werden. Neben der Abschaffung der Vorfälligkeit der Sozialversicherungsbeiträge sieht das Konzept unter anderem eine dauerhafte und vereinfachte Absenkung der Mehrwertsteuersätze sowie eine Verbesserung der steuerlichen Rücktrags- und Abschreibungsmöglichkeiten vor.


MIT-Vize Matthias Heider
 

Finanzierung verbessern

Im Bereich Finanzierung fordert die MIT, dass vor allem für leistungsstarke Unternehmen ein einfacherer Zugang zu Finanzierungen geschaffen wird. „Das darf nicht an überzogenen Sicherungsanforderungen der Kreditwirtschaft scheitern“, stellt Heider klar. Liquiditätshilfen in Form von Krediten seien nur eine vorübergehende Lösung. Neben den KfW-Darlehensprogrammen müssten auch flexiblere Angebotslinien der Bürgschaftsbanken und Beteiligungsgesellschaften sichergestellt sein. Das gelte insbesondere für Unternehmen mit bis zu zehn Mitarbeitern.

Investitionen in die öffentliche Infrastruktur müssen nach Ansicht der MIT schneller fließen. Dazu bringt die MIT eine Aufstockung der Förderquoten und gezielte Förderprogramme für Kommunen ins Gespräch. Priorität soll die Förderung der energetischen Infrastruktur haben, beispielsweise Stromtrassen, Offshore-Anlagen oder Wasserstofftankstellen. Finanzdienstleistungen und -instrumente wie Leasing und Mietkauf sollen gestärkt werden, da sie Investitionen anschieben.

Förderprogramme vereinfachen

„Einer der größten Engpässe bei Förderungen von Investitions-, Innovations- und Forschungsvorhaben ist deren Undurchsichtigkeit für den Mittelstand“, sagt Müthel-Brenncke, die einen Dachdeckerbetrieb in Schwerin führt. Daher sei ein leicht verständliches Förderpaket nötig, das die Förderung neuer sozialversicherungspflichtiger Arbeits- und Ausbildungsplätze in den Blick nimmt. Das Förderpaket soll auch die Digitalisierung des Schulunterrichts verbessern. „Jeder Schüler muss digital am Unterricht teilnehmen können, wenn Präsenzunterricht nicht möglich ist“, sagt Müthel-Brenncke. Darüber hinaus will die MIT die Innovationsprogramme ZIM und INNO-KOM mit mehr Mitteln ausstatten. Ausschreibungen sollen nach Ansicht der MIT sicherstellen, dass Produkte wie Schutzausrüstungen oder Arzneimittel auch im Krisenfall zugänglich sind. Die Wertgrenzen für freihändige Vergabe will die MIT erhöhen. Die Haushaltsvorschriften von Bund und Ländern sollen so geändert werden, dass der Staat Rechnungen der Privatwirtschaft schneller begleicht. Eine Startup-Klausel im Vergaberecht soll es Gründern ermöglichen, sich auch ohne größere Referenzprojekte an Ausschreibungen zu beteiligen.

Belastungen reduzieren

„Jetzt in der Krise ist die Zeit zu hinterfragen, ob alles, was dem Mittelstand an Berichts- und Dokumentationspflichten auferlegt wird, auch künftig abgefordert werden muss“, sagt Matthias Heider. Statt dem Mittelstand mit Misstrauen und Kontrolle zu begegnen, müsse der Staat auf Vertrauen setzen. Die MIT fordert unter anderem einen „One-Stop-Shop“ für sämtliche Unternehmensdaten bei Behörden. So müssten Daten nur einmal erfasst werden. Neue Gesetze, die zusätzliche Bürokratie bringen, sollen nach drei Jahren automatisch auslaufen. Gründer sollten in den ersten Jahren von vielen Auflagen befreit werden. Sämtliche Verwaltungsvorgänge sind zu digitalisieren, Arbeitszeiten ohne Frist zu flexibilisieren.

Solide Finanzen und Strukturen

Den in der Coronakrise aufgehäuften Schuldenberg sollte die Bundesregierung schnellstmöglich wieder abbauen. „Ab 2022 sollten keine neuen Schulden mehr gemacht werden. Bis spätestens 2032 muss Deutschlands Defizit wieder unter der 60-Prozent-Marke liegen“, fordert Heider. „Sobald die Steuereinnahmen wieder steigen, müssen wir zu der von der MIT lange geforderten Drittel-Regelung kommen: Je ein Drittel der Mehreinnahmen müssen in Schuldentilgung, steuerliche Entlastung und Zukunftsinvestitionen fließen.“ Die Sozialbeiträge sollen bei maximal 40 Prozent gedeckelt werden.


MIT-Vize Dorin Müthel-Brenncke
 

Heider und Müthel-Brenncke fordern insgesamt mehr Mut, quer zu denken: „Viele Strukturen stammen aus vergangenen Zeiten und passen heute nicht mehr“, so Müthel-Brenncke. Die Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern müssten neu verteilt, die Finanzierung neu geregelt werden. Mehr Mut sei auch in der Gesetzgebung gefragt. „Es muss die Möglichkeit geben, Alternativen zur aktuellen Regulierung auszuprobieren oder neue Ideen auch ohne langwierige Gesetzgebungsänderungen durchzusetzen“, findet Müthel-Brenncke. Das MIT-Konzept sieht deshalb Experimentierklauseln vor, mit denen in festgelegten Bereichen vom Gesetz abgewichen werden kann. Für die Ministerien von Bund und Ländern sieht die MIT einen Einstellungs- und Verbeamtungsstopp vor: Für jede neue Stelle müsse in anderen Bereichen eine Stelle abgebaut werden.

„Neues Wachstum möglich“

Die MIT fordert nun, dass diejenigen Maßnahmen, die der Bundestag nicht bereits beschlossen hat, in einem Wachstumsstärkungsgesetz gebündelt und zeitnah umgesetzt werden. „Wir wollen die Kräfte der Sozialen Marktwirtschaft neu entfesseln. Der deutsche Mittelstand lebt vom Wettbewerb in Rahmenbedingungen, in denen er seine besonderen Stärken wie Flexibilität, Leistungsfähigkeit und Verantwortungsbereitschaft entfalten kann“, sagt Heider, der zu Optimismus aufruft: „Deutschland hat das Potenzial, mit Mut und Zuversicht die Folgen der Corona-Pandemie zu überwinden und zu neuem Wachstum zu finden.“

Dieser Artikel erschien im Mittelstandsmagazin (Ausgabe 4-2020).