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Deutschland Entlastung der Mittelschicht

Linke will Steuern senken – es wird einsam um die SPD

In der Steuerdebatte weit auseinander: Linke-Fraktionschef Dietmar Bartsch (l.) und SPD-Chef Norbert Walter-Borjans In der Steuerdebatte weit auseinander: Linke-Fraktionschef Dietmar Bartsch (l.) und SPD-Chef Norbert Walter-Borjans
In der Steuerdebatte weit auseinander: Linke-Fraktionschef Dietmar Bartsch (l.) und SPD-Chef Norbert Walter-Borjans
Quelle: Jens Schlueter/Getty Images ; ODD ANDERSEN/AFP via Getty Images
Linke-Fraktionschef Bartsch fordert steuerliche Entlastungen für die Mitte der Gesellschaft und will dafür ein breites Bündnis schmieden. FDP und CDU springen ihm in Teilen bei. SPD-Chef Walter-Borjans spricht von Irreführung.

Er fordert mehr Gerechtigkeit für Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen, spricht von einem „wichtigen Zeichen für den Zusammenhalt im Land“: Dietmar Bartsch, Fraktionschef der Linken im Bundestag, will eine parteiübergreifende Steuerdebatte und konkretisiert seine Reformvorschläge in WELT.

Wenn es um die Einkommensteuer geht, ist Deutschlands Spitze ziemlich breit: Rund 3,5 Millionen Deutsche zahlen auf einen Teil des Einkommens den Spitzensteuersatz von 42 Prozent – und die Gruppe besteht bei Weitem nicht nur aus Topverdienern. Wie aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linksfraktion hervorgeht, müssen 1,7 Millionen Arbeitnehmer den Satz zahlen, obwohl sie keine Spitzengehälter beziehen.

„Wir haben ein Steuersystem aus dem vergangenen Jahrhundert“, sagt Bartsch. Alle Parteien seien sich prinzipiell darin einig, dass dies nicht so bleiben sollte. „Ich rufe deshalb SPD, Grüne, Union und FDP zu einem parteiübergreifenden Steuerkonsens zur Entlastung der Bürgerinnen und Bürger auf. Die Steuer- und Abgabenlast ist für Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen zu hoch, sie verdienen mehr.“

Der Politiker schlägt vor, den Grundfreibetrag zu erhöhen. Also den Betrag, den Arbeitnehmer nicht versteuern müssen. „Ich schlage vor, ihn von 9400 Euro auf rund 10.000 Euro anzuheben. Das würde keine fünf Milliarden Euro kosten. Davon würden aber Millionen Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen profitieren“, sagt Bartsch.

Ein durchaus ungewöhnliches Bündnis könnte die Linke in dieser Frage mit der FDP eingehen: Die Liberalen schlagen vor, den Grundfreibetrag mithilfe einer bestimmten Formel jeweils zum 1. Januar eines Jahres an die Verbraucherpreise anzupassen und ihn so sukzessive zu erhöhen.

Als weiteren Schritt zur Entlastung der Mittelschicht schlägt Bartsch vor, den Spitzensteuersatz zu verschieben: Er solle künftig erst ab einem zu versteuernden Jahreseinkommen von 70.000 Euro greifen. Im Gegenzug will Bartsch Topverdiener stärker belasten. „Diejenigen, die heute sehr viel verdienen, sollten ihrerseits einen Beitrag zur Entlastung der Mittelschicht und zur Gegenfinanzierung leisten und einen höheren Spitzensteuersatz zahlen. Zu Zeiten Helmut Kohls waren es mal 53 Prozent.“

Gleichzeitig greift der Linke-Fraktionschef den Kurs der SPD-Vorsitzenden Saskia Esken an, die zuletzt vor Steuersenkungen gewarnt und diese als „gefährlich“ bezeichnet hatte. Bartsch widerspricht: „Steuersenkungen sind nicht pauschal gefährlich.“ Die entscheidende Frage sei, für wen die Steuern gesenkt würden und für wen erhöht.

SPD-Chef: Debatte führt „Menschen in die Irre“

Rückendeckung bekommt Bartsch ausgerechnet von Eskens Parteikollegen, dem Bundestagsvizepräsidenten Thomas Oppermann (SPD). „Dietmar Bartsch hat recht, wenn er kritisiert, dass gut verdienende Mittelschichten, die das Eineinhalbfache des Durchschnittslohns verdienen, teilweise schon den Spitzensteuersatz zahlen müssen“, kommentiert Oppermann bei Twitter. Die SPD dürfe die Besserstellung der Facharbeiter nicht der Linken überlassen.

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Der SPD-Co-Vorsitzende Norbert Walter-Borjans ist hingegen der Meinung, dass die Debatte über den Spitzensteuersatz „die Menschen in die Irre führt“. Es werde der Eindruck erweckt, ein Single müsse schon bei einem zu versteuernden Einkommen von knapp 60.000 Euro im Jahr 42 Prozent als Steuer an das Finanzamt abführen, obwohl es inklusive Soli 28 Prozent seien.

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Dass der Laie im deutschen Steuersystem schon mal den Überblick verlieren kann, ist sicher richtig – tatsächlich entfällt der Spitzensteuersatz nur auf den Teil des Gehalts, der eine bestimmte Grenze überschreitet. Für Singles liegt diese bei knapp 57.000. Jeder Euro oberhalb wird mit 42 Prozent versteuert, der Satz bezieht sich aber keineswegs auf das gesamte zu versteuernde Einkommen. Das hat Bartsch allerdings auch nie behauptet.

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Walter-Borjans betont, dass die SPD schon 2017 eine Steuerentlastung für Single-Einkommen in ihr Wahlprogramm geschrieben habe. Hier ist von einem Spitzensteuersatz ab einem zu versteuernden Einkommen von 60.000 Euro die Rede – die Sozialdemokraten bleiben damit deutlich unter der Forderung von Bartsch.

„Wir würden diese Entlastung allerdings mit einer moderaten Erhöhung für höhere Einkommen und einer Umstellung des Ehegattensplittings auf ein sozialdemokratisches Familiensplitting mit Kinderbonus verknüpfen“, sagt der SPD-Chef. „Das hätte im unteren bis mittleren Bereich für Familien sogar noch eine weitere Entlastung zur Folge, ganz besonders aber für Haushalte mit Kindern, die vom Splitting gar nichts haben.“ Mit CDU und CSU sei aber selbst dann keine Lösung möglich, „wenn sie nur hohen Einkommen und Vermögen einen sehr überschaubaren Mehrbeitrag abverlangt“.

Kritik übt Walter-Borjans auch an der steuerpolitischen Positionen der FDP. „Deren eigentliches Ziel ist die Senkung für die hohen Einkommen und eine Schmälerung der staatlichen Einnahmen, die vor allem zu weniger Leistungen für Klein- und Mittelverdiener führen würde.“

CDU und FDP zeigen sich offen

Der Vorsitzende der Mittelstands- und Wirtschaftsunion, Carsten Linnemann (CDU), betont, dass es dem deutschen Steuersystem nicht an Einnahmen, sondern vor allem an Verständlichkeit und Transparenz fehle. „Wir müssen deshalb das komplexe deutsche Steuerrecht stark vereinfachen. Ein höherer Werbungskostenpauschbetrag etwa könnte viele Steuererklärungen überflüssig machen. Für viele lohnt sich Mehrarbeit außerdem nicht, weil der Staat zu viel abschöpft“, sagt der CDU-Politiker.

Linnemann unterstützt die Forderung von Bartsch nach einer Verschiebung des Spitzensteuersatzes: „Er sollte später greifen, um mittlere Einkommen zu entlasten.“ Zur Steuergerechtigkeit gehöre außerdem, dass der niedrigere Kinderfreibetrag dem höheren Grundfreibetrag der Erwachsenen angepasst und der Solidaritätszuschlag vollständig und zügig abgeschafft würden. „Die aktuellen Rekordüberschüsse zeigen, dass die Spielräume dafür vorhanden sind.“

FDP-Chef Christian Lindner zeigt sich offen für die geforderte Steuerdebatte. „Vom Grundfreibetrag über den Sparerpauschbetrag bis zum Mittelstandsbauch im Tarif ist das Steuersystem nicht mehr zeitgemäß. Durch jahrelange Unterlassung gab es automatische Steuererhöhungen, die die Mitte abkassieren. Das muss sich dringend ändern.“

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Eine Anhebung des Spitzensteuersatzes für Topverdiener lehnt Lindner hingegen mit deutlichen Worten ab: „Die Erinnerung an Kohl grenzt an Fake News. Damals gab es Massenarbeitslosigkeit und viele Steuerschlupflöcher“, sagt der FDP-Vorsitzende. Die reale Belastung sei heute viel höher, denn die Steuerquote steige unaufhörlich. „Deshalb ist es falsch, die Steuerzahler wie im Klassenkampf gegeneinander auszuspielen. Alle Bürgerinnen und Bürger haben Entlastung verdient, niemand zahlt zu wenig.“

So will die FDP die Bürger entlasten

Die FDP hat eine grundlegende Steuerreform mit einer milliardenschweren Entlastung von Bürgern und Unternehmen vorgeschlagen. Dafür soll unter anderem der Solidaritätszuschlag abgeschafft und das Steuerverfahren entbürokratisiert werden.

Quelle: WELT/ Christoph Hipp

Lisa Paus, finanzpolitische Sprecherin der Grünen, fordert wie Bartsch eine Anpassung des Grundfreibetrags. Auch sei es richtig, „den Spitzensteuersatz später einsetzen zu lassen und ihn dafür für Single-Einkommen ab 100.000 Euro anzuheben“.

Auch müsse berücksichtigt werden, dass bei denjenigen, die am wenigsten verdienen, 80 Prozent und mehr ihres selbstverdienten Einkommens nicht ankomme, sagt Paus. Die Politikerin bezieht sich damit auf Hartz-IV-Empfänger, deren Verdienste zum Großteil auf die Bezüge angerechnet werden. „Das ist ungerecht und demotivierend. Leistung muss sich auch für Geringverdiener wieder lohnen.“

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