Dass Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier, seines Zeichens Christdemokrat, von den oppositionellen Grünen kritisiert wird, gehört zur Berliner Normalität. Dass die Grünen den CDU-Politiker aber attackieren, weil er ihnen mit seiner „Nationalen Industriestrategie 2030“ zu viel Staat in die Wirtschaftspolitik bringt und zu wenig Wettbewerb zulässt, ist dann doch eine bemerkenswerte Abkehr von den gewohnten ordnungspolitischen Frontlinien im Regierungsviertel.
Deutschland müsse „als weltweit erfolgreicher Industriestandort“ auf den „Prozess rasanter und tiefgreifender Veränderung“ im Weltmarkt reagieren, heißt es in Altmaiers Papier, das eine Reaktion auf die Globalisierung und den Aufstieg Chinas darstellt.
Der Saarländer definiert in dem nach seinen Worten von ihm ganz persönlich ausgearbeiteten Papier, „in welchen Fällen ein Tätigwerden des Staates ausnahmsweise gerechtfertigt oder gar notwendig sein kann, um schwere Nachteile für die eigene Volkswirtschaft und das gesamtstaatliche Wohl zu vermeiden“.
Als industrielle Schlüsselbereiche nennen seine „strategischen Leitlinien für eine deutsche und europäische Industriepolitik“ (so der Untertitel) unter anderem die Stahl-, Kupfer- und Aluminium-Industrie, Chemie, Maschinen- und Anlagebau, Automobilindustrie, optische Industrie, Green-Tech (also Umwelt-Technologien), Rüstung und die Luft- und Raumfahrtindustrie. Altmaier will auf einen „schrittweisen Ausbau des Anteils der Industrie an der Bruttowertschöpfung auf 25 Prozent in Deutschland und 20 Prozent in der Europäischen Union“ hinarbeiten; derzeit liegt dieser Anteil in Deutschland bei etwa 23 Prozent.
In dem 21-seitigen Papier wird die Frage nach der „kritischen Größe“gestellt, „die für einen industriellen Akteur erforderlich ist, um am internationalen Wettbewerb erfolgreich teilzunehmen“. In Deutschland seien die „bereits bestehenden Champions wie Siemens, ThyssenKrupp, Automobilhersteller oder Deutsche Bank“ zum Teil 100 Jahre und älter, während in den USA und dem „industriepolitisch besonders erfolgreichen“ China auch in jüngeren Jahren neue Weltkonzerne entstanden seien.
Sinnvolle oder gar notwendige deutsche und europäische Fusionen scheiterten hingegen wiederholt am geltenden Recht, weshalb das „europäische und deutsche Wettbewerbsrecht überprüft und gegebenenfalls geändert werden“ müsse.
Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Katharina Dröge, im Fraktionsvorstand zuständig für Wirtschaft- und Handelspolitik, lässt das nicht gelten. „Der Wirtschaftsminister sollte deutsche Mittelständler schützen und nicht die großen Konzerne privilegieren“, so Dröge im Gespräch mit WELT. „Statt sich in Unternehmen zu drängen, wäre ein Innovationsfonds für Grundlagenforschung, den der Staat finanziell fördern würde, aus unserer Sicht der richtige Weg.“
Als das Thema diese Woche in der Fragestunde des Bundestags anstand, fragte Dröge, ob es neben der gerade an der EU-Kommission gescheiterten Fusion der Bahn-Konzerne Siemens und Alstom weitere Beispiele für gescheiterte europäische Zusammenschlüsse gebe. Der Parlamentarische Wirtschaftsstaatssekretär Oliver Wittke (CDU) wusste keine Antwort.
„Dass ‚Größe zählt‘, ist ein Trugschluss“
Dröges Parteifreundin Kerstin Andreae, Fraktionsvize und Obfrau im Ausschuss für Wirtschaft und Energie, lehnt ebenfalls Altmaiers Kriterien ab: „Dass ‚Größe zählt‘, ist ein Trugschluss. Der Wirtschaftsminister sollte wissen, dass Innovationsfähigkeit zählt.“
Die deutsche Wirtschaft brauche „ein ordnungspolitisches Gesamtkonzept und nicht eine Maschinerie zur Förderung einzelner Großunternehmen“. Altmaiers Ansatz müsse in jedem Fall europäisch sein: „Eine ‚nationale Industriestrategie‘ ist heute völlig verfehlt, insbesondere wenn sie nur auf die Bestandswahrung zielt und nicht auf Innovationen und Zukunftstechnologien.“ Und wenn Altmaier das europäische Kartellrecht reformieren will, dann stelle sich die Frage, „ob er wirklich China zum Vorbild für die deutsche Wirtschaftspolitik und die deutschen Unternehmer machen möchte“.
Als Altmaiers Papier im Wirtschaftsausschuss des Bundestages vom Parlamentarischen Staatssekretär Christian Hirte vorgestellt wurde, erntete es, so berichten Anwesende, kopfnickende Zustimmung insbesondere vom Linke-Politiker Klaus Ernst und gelegentlich vom SPD-Obmann Bernd Westphal. Bei Unionspolitikern habe es Irritationen ausgelöst.
Das klingt durch bei Unionsfraktionsvize Carsten Linnemann. Der Vorsitzende der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der CDU/CSU lobt zunächst den Parteifreund. „Es ist gut, dass Peter Altmaier eine Debatte angestoßen hat, wie wir auf eine massiv vom Staat beeinflusste Industriepolitik in China reagieren“, sagte er WELT. „Allerdings sollten wir nicht den Fehler machen, unsere Prinzipien aus Angst vor China über Bord zu werfen.“
Auch der nächste Punkt des CDU-Wirtschaftspolitikers ähnelt den Argumenten der Grünen Andreae und Dröge: „Zudem dürfen wir Größe nicht mit Wettbewerbsfähigkeit verwechseln. Unseren Erfolg verdanken wir vor allem den vielen mittelständischen Familienunternehmen und hidden champions.“ Im Übrigen sei die beste Industriepolitik, „die Unternehmen in Deutschland von hohen Energiekosten sowie Steuer- und Bürokratielasten zu befreien“. An der Stelle, immerhin, klang Linnemann nicht mehr gar so grün.